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Shrimps in Cocktailsauce

Ich liebe Brunch! Noch ein Grund mehr, mich auf das Treffen mit Balu zu freuen. Wir hatten beide Recherche betrieben und uns letztendlich auf ein kleines, gemütliches Café im hipsten Viertel der Stadt geeinigt - weil wir beide natürlich auch super hip sind und so.

Nachdem wir uns auf Bumble gematcht hatten, hatte es ewig gedauert, ein Treffen zu vereinbaren. Seine Woche war zu voll, hatte er gemeint, aber danach sähe es besser aus. Für mich war das Code für "nicht so richtig interessiert", denn einen Sonntagnachmittag konnte man doch eigentlich immer irgendwie freischaufeln, oder? Zudem schrieb er, dass er Besuch bekam, erwähnte aber zuerst nicht, wer denn da käme. Mein Kopf ergänzte innerlich: "Bestimmt 'ne andere Frau..." und ich war kurz davor, den Bären Bär sein zu lassen, aber irgendwas ließ mich noch einmal die Angel auswerfen. 

Es mag der simplen Tatsache geschuldet sein, dass Balu äußerst gut mit meiner, wie er es nannte, rotzig-frechen Art klar zu kommen schien. Das imponierte mir! Nachdem ich ihn als kleinen Troll bezeichnet hatte (er ist wohlgemerkt 2,03m!), fand er, dass es Zeit wäre, sich auf ein Bier zu treffen. Fand ich ja an sich gut, nur irgendwie auch etwas einfallslos. Da ich gerade online nach Fallschirmsprüngen suchte, fragte ich ihn spaßeshalber, ob er nicht mitkommen würde. Seine Antwort war so phantasielos, dass ich kurz dazu geneigt war, das Gespräch zu beenden: Das müsse er sich überlegen; er fühle es "gerade nicht"... Uff. Dass dieser Fallschirmsprung eher ein Synonym für Abenteuer sein sollte, war wohl nicht so angekommen... Naja. Vielleicht einfach der falsche Moment.

Wir witzelten noch ein wenig über ein erstes Treffen in der Sauna (naja, ich witzelte, er reagierte relativ humorbefreit) und verabredeten uns für den Donnerstag in der Woche drauf. Am Montag sagte er ab. Er habe noch einen späten Termin. Wieder beschlich mich das Gefühl, dass kein echtes Interesse vorlag, aber genau da folgte eine Nachricht, in der er sein Interesse mir gegenüber kundtat. Na guhuuut, einen Anlauf kriegt er noch: Samstag Brunch. Da kann ja nichts schief gehen. Brunch ist immer gut!

Wir hatten uns für 10:30 Uhr verabredet. Um 09:20 Uhr hatte er mir geschrieben:
"Bleibt es bei 10:30 Uhr?" 
"Na klar! Ich bin wach.", hatte ich geantwortet und mich gefreut, dass er ebenfalls wach und ready war.

Um Punkt 10:30 Uhr erreichte ich die verabredete Location. Balu war noch nicht da, was mich irgendwie überraschte, da ich erwartet hatte, ihn vorm Lokal zu sehen. Nachdem ich ein paar Minuten draußen gewartet hatte, erspähte ich drinnen ein Reservierungsschild auf einem der Tische: "Balu", stand da. Das war ja eindeutig! Ich setzte mich und öffnete WhatsApp: "Bin schonmal reingegangen, bis gleich!", schrieb ich. 

Keine Reaktion. Er kam nichtmal online. Komisch.

Aber vielleicht war er einfach etwas im Stress und noch unterwegs. Dennoch machte sich ein ungutes Gefühl in mir breit: "Bitte versetz mich nicht", schrieb ich noch hinterher und ergänzte einen schmerzlich grinsenden Emoji und einen der die Zunge rausstreckte. Nicht, dass das Ganze ernsthaft verzweifelt rüberkam, denn ich war ja eine Frau von Welt. Was konnte mir dieser Korb schon anhaben. Pah!

Um 10:45 Uhr schrieb ich: "Oha"
Wer eine Viertelstunde zu spät kommt und sich nicht meldet, um die Verspätung anzukündigen, oder zu erklären, spielt mit meiner Zeit. Meine Ungeduld wandelte sich in leichten Ärger. Zudem bekam ich das Gefühl, dass wirklich jeder in diesem Laden mitbekommen hatte, dass ich versetzt worden war und mir mitleidige Blicke zuwarf. Autsch...

Den Caramel Macchiato, den ich in guter Hoffnung auf Balu's baldiges Erscheinen bestellt hatte, war fast leer geschlürft. Inzwischen war es 11:00 Uhr. Ich beschloss, dass einsamste Date meines Lebens zu beenden, als ich plötzlich sah, dass er Online war und wild tippte. Na jetzt bin ich gespannt, dachte ich, mit einer Mischung aus Ärger, Neugierde und Erleichterung, dass endlich Licht ins Dunkel käme.

"Sorry sorry sorry - ich bin wieder eingepennt!"

Sein Ernst? Ich war nach weniger als fünf Stunden Schlaf aufgestanden und hatte mich schön gemacht, um dort pünktlich zu sitzen und er war in der Zwischenzeit nochmal eingeratzt bis 11 Uhr?!

Er tippte weiter. In 30 Minuten könnte er da sein, dass sei ihm alles so peinlich gerade.
"Was denkst du, wie peinlich es war, hier alleine zu sitzen, wie bestellt und nicht abgeholt?", schoss ich zurück. Aber die Tatsache, dass er ernsthaft geknickt zu sein schien und sich mehrfach entschuldigte, besänftigte mich und so schrieb ich: "Na dann gib Gas, vielleicht bin ich ja noch da..."

Er bedankte sich und ich stellte mir vor, wie er sich wie der Wirbelwind fertig machte, um zu mir zu fliegen. Das imponierte mir dann anscheinen doch genug, denn ich blieb sitzen.

"Und wehe zu zahlst mir nicht meinen Überbrückungskaffee...", setzte ich noch halb-scherzend hinterher. "Auf jeden Fall! Und bestell 'ne Flasche Sekt!", kam es zurück.

Vorsichtshalber entschied ich, mit der Flasche zu warten bis er da war. Nicht, dass er sich am Ende als selbige herausstellte und ich auf der Flasche sitzen blieb... Wer wusste schon, ob er wirklich auftauchen würde?

Aber er tauchte auf. Und er sah nett aus! Ein bisschen mit eingezogenem Schwanz, aber nach meinen kleinen Temperamentausbrüchen in unseren Chats, hatte er sich vielleicht darauf eingestellt, von mir eine Moralpredigt zu erhalten. Die gab's aber nicht, ich war nämlich inzwischen viel zu ausgehungert und es wurde Zeit für Sekt und Omelett. Lecker!

Wie sich herausstellte, war Balu nicht nur nett, sondern auch interessant. Das Gespräch plätscherte nur so vor sich hin und der Sekt floss - wenn auch bei mir nur sehr begrenzt - ich musste ja immerhin abends noch zu einem Auftritt fahren.

Wir schnatterten, wir futterten und wir wechselten in die Vinothek nebenan (Balu hatte wohlgemerkt die gesamte Rechnung im Café übernommen!), um dort nochmal einen trockenen Rosé zu probieren. Auch lecker! Und so unlecker fand ich Balu übrigens auch nicht.
Dazu kam, dass er keinen Hehl daraus machte, dass er mich auch ziemlich gut fand, was mir natürlich schmeichelte.

Irgendwann war es Zeit für mich, aufzubrechen, damit ich nicht zu spät zum Auftritt kommen würde. Wir verabschiedeten uns beschwingt und auf dem Weg zu mir, kam ich auf die Idee, er könne ja auch einfach mitkommen zu dem Auftritt. Spontan schrieb ich ihn und fragte. Seine Reaktion fiel sparsam aus. Er würde mich ja wirklich unbedingt wiedersehen wollen, aber dann vielleicht eher morgen oder so.

Morgen? Hallo? Ich habe doch JETZT Lust auf Gesellschaft, dachte ich ein bisschen bockig und versuchte es mit meinen unfassbaren Überredungskünsten. Als ich gerade aufgeben wollte, stimmte er ein:  "Na gut, dann hol mich halt ab..."

Ich grinste, änderte das Navi und sammelte ihn ein. Ein wenig beschämt war ich schon, denn eventuell hätte man meine Überredung wohl mindestens als ansatzweise emotional erpresserisch einstufen können... aber immerhin: Er saß neben mir!

Wir düsten los und ich bemerkte noch meine nach unten kletternde Tankanzeige: "Wir müssen definitiv noch tanken unterwegs...", dachte ich. 

Es könnte ganz eventuell sein, liebe Leserschaft, dass ich über das angeregte Gespräch die Tankanzeige ein wenig aus den Augen verloren hatte... Könnte sein... Könnte aber auch sein, dass selbige sehr plötzlich auf Null sprang. Weiß man ja nie! Diagnose: Plötzlicher Tankverlust - oder so.

Fakt war jedenfalls: 12 Minuten und 20 km entfernt vom Ziel passierte nichts mehr, als ich das Gas eindrückte. Gar nichts. Ich schaffte es mit letzter Kraft und viel Vor- und Zurückwackeln auf dem Sitz noch gerade so auf den Seitenstreifen der Landstraße und dort blieben wir stehen.

Na großartig. Und nu? War auch irgendwie klar, dass das früher oder später mal passieren musste, Frau Leben-am-Limit. Aber nutzte ja nix. Ich nahm es leicht, lachte und rief den Veranstalter an, um zu fragen, ob mir jemand ein paar Liter vorbeibringen könnte. Mirko, so hier der Gute, reagierte tiefenentspannt und versprach, mir jemanden vorbeizuschicken. Wundervoll! Jetzt hieß es nur: Warten.

Der Ton zwischen Balu und mir war inzwischen immer flirtiger geworden und als er mich keck fragte, ob ich ihn eigentlich gerne küssen würde, entgegnete ich nach kurzem Nachdenken mit einem neugierigen und entschlossenen: Ja!

Balu beugte sich zu mir vor und küsste mich. Es mag auch mit an der  Spannung der Situation gelegen haben, aber der Kuss war nicht schlecht! Vielleicht etwas zu schnell zu leidenschaftlich für meinen Geschmack (lies: zu viel Zunge!), aber schon auch etwas heiß. Und er machte Lust auf mehr! 

Balu sah mich begeistert an: "Du küsst richtig gut!". Ich grinste. Aber jetzt hieß es erstmal, aus der brenzligen Situation rauskommen. Und gerade, als wir uns auf einen zweiten Kuss geeinigt hatten, hielt ein Auto hinter uns und heraus stiegen eine wahnsinnig nette Frau und ein Mann mit Kanister, der sich sogleich ans Einfüllen meines Tanks machte. 

"Ach immerhin warst du nicht alleine!", sagte die nette Frau erleichtert und ich grinste innerlich, wie äußerlich. Stimmt. Alleine wäre das nicht halb so heiß gewesen...

Mit gefülltem Tank ging es Richtung Auftritt. Da ich spät dran war, baute ich flux auf und machte mich dann ans Singen. Alles lief wie am Schnürchen und Balu stand aufmerksam neben der "Bühne" - ein Teppich auf dem Boden eines Bierzeltes - und strahlte mich an. Okay, es gefiel ihm wohl. Und dich gefiel ihm auch. Das sah nicht nur ich, das sah auch der Rest der Gäste dieser Gartenparty, was später noch dazu führen sollte, dass unsere vorher besprochene  Taktik, al la "Wir sagen einfach wir sind Freunde", schnell in Rauch aufging. Naja.

Nach dem Auftritt gab es Blumen und Pizza und nach der obligatorischen halben Stunde Nachgeplapper mit dem Gastgeber Mirko und einigen seiner Gäste, machten wir uns auf den Weg zurück. Dieser Rückweg wurde zum kleinen Eklat, als ich beim Wegfahren sah, dass Balu seine Wegbierflaschen, die er sich auf dem Hinweg einverleibt hatte, auf den Boden neben das Auto gestellt hatte. Nachdem die Veranstalter ja ganz genau gesehen hatten, wo ich geparkt hatte. Und das in einer absoluten Kleinstadt... Ich wusch ihm gehörig den Kopf - wir waren hier ja nicht im Pott, wo jemand die Flaschen direkt einsammeln würde und Glasflaschen auf einem Parkplatz auf dem Bodenabstellen erschien mir äußerst unklug. Sag er dann auch ein, die Stimmung war dennoch etwas gekippt. Vielleicht aber auch, weil die vielen Komplimente, die ich von Balu erhielt, ungewohnt für mich waren. Aber irgendwie auch schön.

Er zeigte ein weiteres Mal, dass er gut im Stande war, mein Temperament auszuhalten und so entspannte sich die Stimmung bis wir im Pott angekommen waren wieder. Tankmäßig waren wir übrigens wiederum am Limit, was mich zu diesem Zeitpunkt ansatzweise verzweifeln ließ. Wir schafften es aber, oh Wunder, sicher nach Hause und Balu lud mich auf einen Absacker zu sich ein. 

Da ich selten Nein sage, sagte ich Ja und wir machten es uns in seiner extrem coolen Wohnung bequem. Es plätscherte wieder, wir lachten viel. Er lachte viel zu laut und zu lange über meine viel zu schlechten Witze und das gefiel mir viel zu sehr. 

"Ich glaub, ich hab mich ein bisschen in dich verknallt.", sagte er grinsend. Irgendwie war ich nicht überrascht - ich hatte seine Blicke ja gesehen und seine Worte gehört. Auch sein Blick während und nach meinem Auftritt hatte Bände gesprochen. Mein Ego hüpfte.

"Du faszinierst mich...!", fügte er ergänzend hinzu. Hüpf hüpf. Mach ruhig weiter!
Nachdem ich mich in den Monaten zuvor nur wenig wertgeschätzt gefühlt hatte, ging das alles runter wie Butter. Jetzt war nur die Frage: Wie finde ich IHN eigentlich?

Er war ja schon ein guter Typ! Klug, witzig, groß, selbstbewusst, mit beiden Beinen im Leben und dazu fand er mich auch noch absolut fantastisch. Jackpot!

Jetzt mussten nur noch meine Gefühle in Schwung kommen...

Wir knutschten noch ein wenig rum und kuschelten uns aneinander. Fast hätten wir gepuzzelt, aber mein inzwischen fast leerer Magen machte, dass ich nach Hause wollte. Außerdem warf Balu mir beim Küssen etwas zu oft den Schleudergang an und wenn Männer schon mit weit geöffnetem Karofenmund auf mich zukommen, bin ich leider raus.  Es erschien mir dann auch richtig, direkt all the way zu gehen. Das hier hatte ja Potenzial- wofür auch immer. Lieber also die Pferde ruhig halten, oder wie das heißt. Und ich machte ihn ja jetzt schon nervös, wie er sagte.

Aber Unsicherheiten hin oder her: Mein größtes Problem war zu diesem Zeitpunkt mein extremes Verlangen nach einem Brötchen mit Shrimps in Cocktailsauce. Ich sinnierte noch vor mich hin, wie lustig es wäre, wenn Balu, der zuvor bereits angekündigt hatte, dass sein Kühlschrank leer sei, nun ausgerechnet diese Zutaten noch vorrätig hätte. Wir lachten viel zu lange über mein Kopfkino und ich stellte in den Raum, dass "Shrimps in Cocktailsauce" wohl der Songtitel würde, von dem Hit, den ich über diesen Tag schreiben würde. Vorerst dient er jetzt aber als Blogtitel, weil er passt.

Unter einigen Schwierigkeiten schaffte ich es, mich zu lösen und damit auch den Absprung nach Hause. Bestimmt fünfmal hatte Balu sich von mir versichern lassen, dass wir uns wiedersehen. Dabei gab es doch gar keinen Grund für Unsicherheiten.

Ich verschwand nach einem letzten Kuss in die Dunkelheit, nur um zwanzig Minuten später von zu Hause aus nochmal 'ne Stunde mit ihm zu chatten. Ein Wiedersehen kommt definitiv!

Und die Moral von der Geschicht? Zweite Chancen lohnen sich! Wenn auch vielleicht eher für was Platonisches.






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