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Tom Tom

Nach Finn stürzte ich mich in einen regelrechten Datingmarathon. Zu lange hatte mein Ego gelitten, war klein gemacht und vernachlässigt worden. Auch von mir selbst. Zeit also, mich ein wenig wiederaufbauen zu lassen. Und dann am besten ohne, dass es Verletzte gab.

Am Freitag traf ich Dino. Am Sonntag Fabi. Am Montag Donny. Dazwischen, am Samstag, traf ich Tom.

Ich war auf einem DJ Picknick, ganz nahe am Viadukt, wo Finn und ich uns zum ersten Mal geküsst hatten. Irgendwie fand ich es gut, nochmal dort vorbeizuschauen und mich zu verabschieden. 
Eigentlich hatte ich mich bereits damit abgefunden gehabt, den Abend alleine zu verbringen, da meldete sich Tom. Er würde wohl noch vorbeischauen, meinte er und auch wenn ich eine Sekunde zweifelte, ob ich noch Lust hatte länger zu bleiben, siegte die Neugierde auf diesen Menschen.

Die Wartezeit überbrückte ich mit einem Spaziergang zu besagter Brücke. Oben angekommen, sah ich andere Menschen und machte wieder kehrt:
"Nein, heute kann ich die Brücke nicht teilen.", dachte ich noch.

Ich stiefelte zurück, tanzte kurz vom DJ Pult und erblickte dann Tom, der mir zuwinkte. 
Er sah gut aus! Und ich mochte seine Ausstrahlung!

Ich schlug vor, etwas zu Essen zu besorgen und ließ ihn wählen. Es wurde ne Wurst im Brötchen. Etwas einfallslos, aber vielleicht auch einfach ein gutes Sinnbild dafür, wie Tom war: Ein ehrlicher Snack!?

Wir besorgte uns noch ein Bier und pflanzten uns auf meine Picknickdecke. Das Gespräch rollte angenehm vor sich hin und tat mir richtig gut. Es gibt ja doch noch tolle Kerle, dachte ich!

"Willst du was Cooles sehen?", fragte ich mit einem Funkeln in den Augen.

Klar wollte er! Und so nahm ich Tom kurzerhand mit zum Viadukt. Bekloppt, oder?
Wenn mich ein Typ zum ersten Date irgendwohin mitnehmen würde, wo er mit seiner letzten Liebelei war, wäre ich wohl leicht beleidigt gewesen. In diesem Fall erschien es mir irgendwie wichtig, Finn zu überschreiben und mir meine Orte zurückzuerobern.
Und sowieso: es war ja auch gar nicht das Gleiche mit Tom. Ich hatte viel weniger das Gefühl, ihn beeindrucken zu müssen. Wir witzelten über Bäume, die sich besonders gut zum Pinkeln eigneten und ich zeigte Tom den Baum, den ich an meinem ersten erfolglosen Marsch zur Brücke für perfekt befunden und markiert hatte. Klingt komisch? War es auch!... Aber gut komisch!

Wir kletterten die Brücke hoch und Tom stellte sich dabei ziemlich gut an. Aber nicht ganz so gut wie ich, und das obwohl ich sogar mit Verletzung klettern musste, aber das ist eine andere Geschichte.
Ich fühlte mich richtig stark. Dieser definitiv coole, gutaussehende Typ hatte Lust Zeit mit mir zu verbringen und dass, ohne dass ich dafür kämpfen musste. Ich fühlte richtig, wie ich innerlich heilte.

Wir breiteten meine Decke im Halbdunkel aus und machten es uns gemütlich. Redeten, genossen den Ausblick und natürlich war die Situation viel zu romantisch, als dass man sich einem Kuss hätte entziehen können und so fanden unsere Lippen einander. 
Was zärtlich begann wurde schnell leidenschaftlicher und Tom schlug vor, dass ich auf seinen Schoß kam. An sich kein schlechter Plan, aber Tom hatte tatsächlich so entsetzlichen Mundgeruch, dass mir fast übel wurde. 

"Ich glaub, dann muss ich pinkeln.", platze es aus mir heraus. - Wow, Tinderbel, ultra sinnlich wieder und so....
Tom lachte und wir erinnerten uns daran, dass wir zwar an meinem Baum vorbeigekommen waren, ich ich aber nicht drangesetzt hatte. Ärgerlich! Aber andererseits auch ein guter Grund, unsere Knutscherei an einen gemütlicheren Ort zu verlegen. Und vielleicht würde ein Schluck Wasser ja helfen bei der unangenehmen Mundflora... Dass die Brücke nur semi-kuschelig war, fiel uns übrigens spätestens auf, als ich die Decke hochnahm und deutlich wurde, dass wir die ganze Zeit mitten in den einzigen Scherben weit und breit gesessen hatten. 

Wir brachen auf, bevor wir es uns anders überlegen konnten und marschierten zurück zu meinem Auto. Tom war mit einer Art Taxialternative ausm Pott gekommen. Ich hatte fälschlicherweise kurz gedacht, dass er sich vertippt hatte: "Ich komme mit dem cabdo.", hatte er geschrieben und mein Kopf dachte; Autocorrect für Cabrio. "Was für ein Angeber!", war es mir noch durch den Kopf geschossen, aber Tom war ziemlich bescheiden, dafür, wie gut er aussah.
Aber so blieb uns nur mein Auto als Transportmittel und meine Wohnung als Bestimmung.

Einmal bei mir angekommen, landeten wir auf dem Sofa. Nun galt es, wieder den gleichen Grad der Intimität und Leidenschaft herzustellen, den die Brücke so selbstverständlich losgetreten hatte -Ortswechsel bringen da ja bekanntlich so manchmal ihre Probleme mit sich. Kennt ihr? 
Wir waren dann auch zuerst wieder etwas verlegen miteinander und mussten uns erneut annähern. Irgendwie ja auch ganz spannend! Es fluppte und was soll ich euch sagen? Die Nacht tat verdammt gut. Tom war nicht egoistisch. Er war charmant und hatte sichtlich Spaß an dem, was er tat. Das ich die meiste Zeit die Luft anhalten musste, um seinen Atem nicht zu riechen, schluckte ich.

Über Nacht wollte er nicht bleiben, er wohnte ja auch nur 15 Gehminuten entfernt und verabschiedete sich - natürlich erst, nachdem wir noch eine anständige Zeitspanne lang gekuschelt und gequatscht hatten.

Die nächsten zwei Tage hatte ich noch zwei weitere Treffen mit zwei weiteren Männern geplant. Irgendwie musste ich mich ja von trüben Gedanken ablenken und das gelang mir erstaunlich gut! Die Dates weckten kein weiteres Interesse in mir und am Abend beider Date-Tage traf ich Tom noch kurz an der Tanke auf einen kleinen Plausch.
- Ja, meine verehrte treue Leserschaft, Sie haben richtig gelesen: An DER Tanke...! -

Damit war der zweite bedeutungsschwangere Ort angemessen entweiht und ich konnte wieder frei atmen in meiner "Hood". Zudem hatte Tom sich als wahrer Held erwiesen und mir zweimal kurzfristig mit Feenstaub ausgeholfen. Und das auch noch gerne! Als Held in glänzender Rüstung gefiel er sich nämlich ganz gut, wie er schrieb.

Jedes Treffen mit Tom war angenehm. Wir nahmen einen Tag Zwischenpause und verabredeten uns für Donnerstag am Hafen. Dadurch, dass alles so von selbst ging, vertraute ich mich Tom immer mehr an. Wir sprachen auch über unsere Verflossenen, weil man ja darüber eigentlich am meisten erfährt, was der andere vielleicht nicht will. Oder wohl will.

Sowieso war mir in keinster Weise klar, wo das mit uns hinführen sollte. Wir hatten nicht darüber gesprochen, was wir gerade suchten, nur darüber, dass wir uns grundsätzlich schon nach einem geteilten Leben sehnten. Aber ob das jetzt miteinander sein musste, oder ob wir einander nur für eine Weile begleiten würden? Mein Herz war nicht nur frisch zerbrochen, sondern auch beschämt worden. In mir regte sich wenig, was bereit war, dieses Risiko direkt wieder einzugehen. Aber warum auch? Ein langsames Kennenlernen hatte doch vielleicht auch etwas für sich? Es musste ja nicht immer volle Kraft Romantik sein, vor allem, wenn der Höhenflug eben oft einen ordentlichen Fall hinter sich her zog...

Mir gefiel die Situation! Und als Tom am Ende unserer Treffens sagte, dass er sich freute, dass wir uns bereits für den Folgetag verabredet hatten, machte mein Herz einen kleinen Freudensprung. Der will mich echt sehen! Und ich ihn auch!

Der nächste Tag kam und wir tauschten morgens noch normal Nachrichten aus, Am Nachmittag fragte ich ihn, worauf er Lust hatte bezüglich unserer Verabredung. Es war regnerisch und ich schlug einen gemütlichen Netflixabend vor. Die Antwort folgte 19 Minuten später: "Tinderbel, ich glaub wir sollten uns besser doch nicht sehen."

Uff. Was war denn jetzt passiert?

Der Grund für die Absage schälte sich behutsam unter ein paar zuerst irreführenden Nachrichten hervor: Tom hatte Angst, Angst um sein Herz, 
Ob ich nicht doch noch zu sehr an meiner letzten Liebelei hinge, stellte er in den Raum. Ich hatte immerhin viel über ihn gesprochen.

"Hey!", wollte ich protestieren, "Ich dachte dafür ist Raum... und sowieso, du hast doch auch von deiner Ex gesprochen und...", ich hielt inne. Hatte ich nicht gerade ein Stück meines Herzens verloren, weil jemand nicht bereit für die Liebe war? Wenn Tom sich jetzt schützen wollte, war er nicht das Mindeste, dass ich ihn dabei unterstützte?

Ein Teil von mir wollte einfach so weitermachen. Es war doch alles so schön? 
Ein zweiter Teil wollte das Ganze zumindest nicht so unsauber abschließen.

"Lust aufn Bier im Park?", hatte es in Toms Bumble Bio geheißen und genau das schlug ich jetzt als Abschiedstreffen vor. Tom willigte ein und ich war erleichtert.

Wir trafen uns wieder an der Tanke und schlenderten gemeinsam zum Park an meinem Haus. Die Stimmung war angespannter, als sonst und wir retteten uns über den Weg mit halbverkrampftem Smalltalk. Bis wir auf der Wiese saßen, waren wir wieder aneinander gewöhnt, aber der schwierige Part musste ja noch folgen.

"Jaaa...", sagte ich bedeutungsschwanger.
"Jaaa...", antwortete er, mit einer Mischung aus verkrampft und verschmitzt.

Tom bestätigte nochmal meine bereits getroffene Vermutung. Er wollte jetzt einfach etwas, wo beide gleich frei sind, weil sonst am Ende eh wieder einer verletzt wird. 

Hmmm. War das nicht das Risiko der Liebe? In fast allen Fällen ist am Ende jemand verletzt und nur in den wenigen Fällen, wo zwei sich fürs Leben gefunden haben, sprechen wir von einem Happy End. Aber viel häufiger scheitert die Beziehung und bleibt meist eine Person verletzter, als die andere, zurück. Oder beide sind gebrochen. Jackpot.

Obwohl es mir sehr inne liegt, Menschen von meinen Ideen überzeugen und davon begeistern zu wollen, hielt ich mich zurück. 

"Es fällt mir so schwer, Dinge loszulassen, die sich gut anfühlen...", sagte ich noch.

"Wir können uns jetzt eigentlich nur noch Floskeln an den Kopf werfen.", meinte Tom.

Kurz war ich getroffen, dass er das als Floskel sah, war es doch wohl immerhin einer meiner größten inneren Kämpfe, aber ich ließ es so stehen. Er hatte Recht, es war alles gesagt.

Wir packten unsere sieben Sachen, Scherzten nochmal darüber, dass wir dieses Mal immerhin nicht in Scherben gesessen hatten und liefen zum Ende des Parks. Bis jetzt war Tom immer linksrum gekommen und hatte mich die drei Meter zu meiner Tür gebracht, um dann um den Block herum nach Hause zu laufen. Jetzt fragte ich, ob er rechts oder links herum will.

Kurz zögerte Tom. Dann sagte er: "Rechts."
Es fühlte sich passend an, denn vor meiner Tür waren wir zu oft in eine wilde Knutscherei verfallen, aus der wir uns jedes Mal nur allzu schlecht hatten lösen können. Sicherer war also, sich hier am Park zu trennen. Mit einer letzten Umarmung, die viel zu gut tat.

Dann stiefelte er davon. Ohne sich umzudrehen natürlich. 
In seiner glänzenden Rüstung, aber ohne Gaul.
Dabei hätte man mit mir doch Pferde stehlen können...

Aber wer weiß, vielleicht war es auch nur der Sauerstoffentzug durch das ständige Luftanhalten, was mir den Kopf verdreht hatte. Und wer weiß, vielleicht hatte ich für ihn ja auch einfach ebenso schlecht gerochen. Meine Nase war jedenfalls bereit für neue Abenteuer.

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