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Der Junge von der Tanke

Ich war gerade frisch im Pott gelandet, meine Wohnsituation war - sagen wir mal so - eher suboptimal, aber ich versuchte, das Beste draus zu machen und mich in meiner neuen Stadt einzuleben.
Da durfte ein Besuch bei meiner alten Studienfreundin S. nicht fehlen! Leider war ich orientierungstechnisch noch recht planlos, weshalb S. mir angeboten hatte, mich auf dem Weg von ihrer Arbeit nach Hause einzusammeln, damit wir einen gemütlichen Abend zusammen verbringen konnten.
Dankbar nahm ich das Angebot an - da ich aber schon losgelaufen war, wollte sie mich unterwegs einsammeln. 
Dummerweise stellte sich nach einigen Minuten heraus, dass wir auf unterschiedlichen Straßen unterwegs waren. Dank Standortübermittlung teilte ich S. mit, wo ich war und lief noch ein paar schicksalhafte Schritte weiter, bis ich an einer Kreuzung stand. Da war die Wahrscheinlichkeit immerhin höher, dass sie mich sehen würde, dachte ich so.

Ich stand also an der Straßenecke, circa 20 Meter von einer Tankstelle entfernt und blickte suchend um mich, da ich keine Ahnung hatte, aus welcher Richtung S. kommen würde. Durch mein Herumgeschaue sah ich, wie ein schwarzer Mercedes gerade aus der Auffahrt der Tanke fuhrt und plötzlich stehen blieb. Hinterm Steuer saß ein Typ mit braunen Haaren, zu einem Dutt nach hinten gebunden, der mich zu fixieren schien.

"Boah bitte lass mich in Ruhe...", dachte ich noch und fühlte mich unangenehm beobachtet. Gleichzeitig sah der Typ gar nicht so schlecht aus. Ich sah wieder weg, suchte weiter meine Freundin und sah dann doch wieder hin, nur um festzustellen, dass der Typ sein Auto abgestellt hatte und schnurstracks auf mich zukam.
"Was will der denn jetzt?", dachte ich ansatzweise beunruhigt und mindestens skeptisch.

Er kam näher und begrüßte mich mit einem fragenden:
"Tinderbel...?"

(Hier sei erwähnt, dass er natürlich NICHT "Tinderbel" sagte, sondern meinen tatsächlichen Namen, den ich hier aber unerwähnt lassen möchte...)

Ich war perplex und antwortete nur mit einem fragenden: "Ja....?", als es mir bereits dämmerte.
Der kann ja nur von Bumble sein. 
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass mir allerdings weder ein Name, noch ein Gespräch zum Gesicht einfiel. Später sollte ich noch bemerken warum.

Er löste dann auch auf und stellte sich als Bumble Biene vor, direkt weiter plappernd, dass er jetzt auch gar keine Zeit habe, aber mich eben zu erkennen geglaubt hatte und mich unbedingt ansprechen hatte müssen. 
Ob wir denn schreiben, fragte er flirty. Ich bejahte, immer noch ziemlich perplex und grinste ihn an. Ganz cute war er ja schon irgendwie... wenn auch nicht ganz so groß, wie mir lieb gewesen wäre, aber hey: Dat Leben is kein Wunschkonzert, wa?

Er umarmte mich und eilte wieder zurück in seine - für meinen Geschmack - viel zu protzige Karre und fuhr von dannen - aber nicht ohne mir nochmal keck zuzuwinken. Ich blieb breit grinsend zurück und öffnete in Windeseile Bumble:

Wer ist dieser Typ? Ich scrollte etwas hoch und runter und fand sein Profil, nur um festzustellen, dass ich ihn mehr oder weniger gehosted hatte... Finn hieß er und auch wenn er augenscheinlich echt versucht hatte, mit mir in Kontakt zu kommen, hatte ich nicht richtig angebissen. 
Sein Profil war aber auch eine absolute Vollkatastrophe, mit Fotos, die ihn meiner Ansicht nach nicht ansatzweise abbildeten. 
Ich schrieb: "Na das war ja was!" und bekam prompt eine Antwort, dass er mich irgendwie schon von Weitem erkannt hätte und sich gefreut hat, mich in echt zu sehen. Ich schrieb Ähnliches zurück und am Tag darauf, schlug er ein Treffen vor.

Gesagt, getan. Wir verabredeten uns spontan zum Feierabendbierchen am Rande der Stadt, wo er noch mit einem Arbeitskollegen saß. Als ich ankam, war selbiger auch noch nicht weg, was für einen lockeren Gesprächseinstieg sorgte, da wir nicht so date-mäßig 1:1 voreinander saßen.

Das Gespräch war angenehm, aber mein erster Eindruck war: Laberköppe. Zwei Typen aus einer komplett anderen Welt. Irgendwie oberflächlich auch. Aber unterhaltsam!
Nach 1-2 Bier brauch der Kollege auf und wir blieben zu zweit zurück. Mein zeitweiser Mitbewohner hatte mir zudem den Tipp gegeben, in der Nähe sei ein altes Viadukt, auf das man klettern könne. Fand ich ja spannend! Finn auch und so zogen wir los auf Schnitzeljagd. 
Anhand der Sprachnachricht meines Mitbewohners, fanden wir den verschlungenen Trampelpfad und bahnten uns unseren Weg durch den Wald zur Brücke. 
Ich mochte, dass Finn so lebendig war. Wir hatten einen guten Flow miteinander, kicherten und kletterten mit gegenseitiger Assistenz nach oben. 

Was für ein Ausblick! Was für ein großartiger Ort! Die Brücke war noch gut erhalten, brach aber in der Mitte ab, weshalb ich mich in einigem Abstand zum Abgrund hielt und auf die alte Brauerei in der Ferne blickte. Wahnsinn! 
Finn war ebenfalls begeistert und als wir zuerst in die Ferne und dann einander ansahen, war ein Kuss quasi unumgänglich. Alles floss so schön mit diesem Mann. es war so leicht und unbeschwert, dass es mich in seinen Bann zog. Aber ich blieb auf der Hut. Irgendwie war er mir ein wenig zu begeistert von mir und uns. Das machte mich misstrauisch.

"Zufälle gibt's nicht, ich sag's dir...!", sagte er immer wieder verschwörerisch und als ich vorschlug, noch ein gemeinsames Bier auf meiner Dachterrasse zu trinken, willigte er direkt ein.

Wir fuhren mit meinem Auto - er hatte immerhin mehr Bier intus, als ich - packten uns ein paar Kissen und die Musikbox und kletterten aufs Dach. 
Finn war begeistert vom Blick in die Stadt bei Nacht und wir stellten fest, dass wir musikalisch voll auf einer Wellenlänge waren. Zu den Klängen von Leon Bridges tanzten wir über den Dächern, küssten uns und tauschten Geheimnisse aus. 
"Das habe ich noch niemandem... oder fast niemandem erzählt!", sagte Finn immer wieder bedeutungsschwanger und auch wenn ich innerlich skeptisch blieb, ich genoss den Moment in vollen Zügen. 

Finn blieb über Nacht und wir kamen uns näher. Alles war schön. Fast schon ekstatisch schön, weil der Zauber des ersten Kusses und der ersten gemeinsamen Nacht unübertroffen sind. Und was soll ich sagen? Vielleicht wäre es besser bei dieser Nacht geblieben...

Was folgte war eine Schnellfahrt in Richtung Liebe. Die ersten zwei Wochen sahen wir uns jeden Tag. Alles war leicht, Finn meldete sich ununterbrochen und wollte mich sehen. Noch nie hatte er jemanden so gerne und so oft sehen wollen. Sich so oft gemeldet.
Seine Sprache war geprägt von Extremen: In allem war ich die Tollste und ganz besonders und anders, als alle anderen Frauen, die er gehabt hatte.

Seine Worte taten ihre Wirkung und ich ließ mich immer mehr mitziehen. Nach zwei Wochen sagte er:
"Ich liebe dich."

"Das ist zu früh!", fand ich, denn was blieb uns dann noch für ein Aufbau? Und was war Liebe wert, wenn man so leichtfertig mit ihr um sich schmiss?
Nur war das alles eben auch nicht neu für mich und ich war es gewohnt, mich Hals über Kopf zu verlieben. Und auch ich wollte meinen brodelnden Gefühlen Ausdruck verleihen.

"Wir brauchen was anderes, was wir zueinander sagen können.", fand ich.
"Ich sehe dich.", entgegnete er und ich schmolz dahin.

Wie schön war das denn bitte? Und war das nicht eigentlich mein allertiefster Wunsch? Wirklich gesehen werden, als die, die ich bin? Ich ließ alle Leinen los und rauschte mit Finn los.
Wir lernten uns weiter kennen und lieben, rutschten von einer Ekstase in die nächste. 
Mit Finn war alles aufregend und er ließ mich alle Ängste und Sorgen kurz vergessen.
Wie eine Droge.
Ich berauschte mich an ihm.
Und bald war ich abhängig.

Nach drei Wochen fiel Finn ein, dass er ja eigentlich gar keine Beziehung wollte. 
Macht ja nix, dachte ich, wir können doch einfach 'ne gute Zeit haben.
Das wollte ich. 
Ein Abo auf 'ne geile Zeit mit diesem Mann, der mich komplett in sich verliebt gemacht hatte. 
Und das wollte er auch.

Meine Wohnungssituation hatte sich inzwischen weiter zugespitzt und führte dazu, dass ich auf der Suche nach einer neuen Bleibe war. In der Zwischenzeit wollte ich am liebsten nicht mehr in die Wohnung und so kam es, dass ich einen Großteil der Zeit zwischen den Wohnungen bei Finn blieb.
Da wir eh so viel Zeit miteinander verbrachten, bot sich das an und Finn gab mir zu verstehen, dass er mich unterstützen würde. No matter what. Ich war ja in seinem Herzen und so.

Wahrscheinlich wäre ich ihm dankbar gewesen, und zu der Zeit war ich das auch, wenn sich nicht alles so anders entwickelt hätte...


Fortsetzung folgt...



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