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Der Junge von der Tanke (pt 2)

 Ich wohnte also zum Übergang beim Tankstellenboy und wir waren komplett verliebt.

Liebeskasper, nannte er uns liebevoll. Ich sollte erst viel später erfahren, dass er dieses Wort 1:1 von einer anderen Frau übernommen hatte... Aber das ist eine andere Geschichte, die hier nicht erzählt werden soll.

Mein anfängliches "Ich will ja auch gar keine feste Beziehung", wich einem "Ich muss ja nicht unbedingt eine Beziehung haben". Ich arrangierte mich und stellte mich innerlich auch darauf ein, dass unsere Liebe ein Ablaufdatum hatte. 

"Aber wenigstens der Somme noch", dachte ich hoffnungsvoll.

Hier und da hatte es zwischen uns bereits gerumpelt. Die Tatsache, dass er sein Wort so oft nicht hielt, setzte mir zu. Viel schlimmer, war allerdings das damit verbundene Gaslighting.

Es erschien mir eine wundervolle Idee, zusammen Urlaub zu machen, nachdem wir bereits ein Wochenende in Amsterdam unterwegs gewesen waren. Finn fand das auch, wollte seinen nächsten Urlaub aber gerne mit einem alten Freund verbringen.

"Kein Problem, gönn ich dir doch!", war meine Reaktion, und: "Dann machen wir den nächsten Urlaub zusammen." - "Klar! Machen wir!", versprach er. Bis der nächste Urlaub näher rückte:

"Ich will eigentlich ja schon ewig mit meinem Bruder weg... und ich will mir den Urlaub auch gerne etwas offen halten." - Ich wohnte inzwischen in meiner eigenen Wohnung und  hatte mich auf etwas quality time mit ihm gefreut. Stattdessen tauchte seine Ex in seinem Leben auf und klingelte täglich an der Tür, was auch schon passiert war, als ich noch bei ihm gewohnt hatte.

Er regte sich tierisch auf. Warum ließ sie ihn nicht in Ruhe? 

Ich fragte mich eher: Warum ging er immer wieder auf sie ein und reagierte auf ihre Nachrichten, nur um sie dann vor verschlossener Tür stehen zu lassen? 

Als ich nach 2 Jahren Pandemie endlich Corona bekam, brachte er mir nichts vorbei oder schickte mir aufmunternde Nachrichten. Er traf sich heimlich mit ihr und reparierte ihren Zaun. Aha. Ein Fahrrad hatte er dabei auch noch abgestaubt, denn er wäre nicht er, wenn nicht etwas für ihn dabei herausspringen würde.

Was folgte war dann endlich ein Gespräch zwischen den beiden. Sechs Stunden nahm er sich dafür Zeit. Ich tolerierte alles, gab ihm jeden Raum, den er brauchte. Verstand, dass er mir nicht direkt davon berichten konnte und ließ ihn laufen. Den Geburtstag meiner besten Freundin verbrachte ich heulend auf ihrem Zimmer, da er am Tag nach dem Gespräch einen Komplettrückzug vollführte und mir absichtlich nicht sagte, wo er war. Einfach, weil er nicht wollte. Weil er grad niemandem Rechenschaft gegenüber ablegen wollte. Er pumpte sich das Wochenende lang mit Alkohol und Drogen voll und eigentlich hätte ich spätestens jetzt beide Beine in die Hand nehmen sollen, um wegzurennen.

Aber immer wieder entkeimte in er mir die Hoffnung, dass es besser werden würde. Wenn er feiern war und ich auch, hagelte es Liebesschwüre. Wenn wir alleine waren, verbanden wir uns auf einer so tiefen Ebene, dass er mir sagte, ich sei für ihn so wichtig, wie sein bester Freund, den er seit frühster Kindheit kannte. Da war es wieder, das Lovebombing und damit zurück zur Urlaubsplanung und zum Gaslighting,

Er verbrachte den Urlaub nicht mit seinem Bruder. Aber eben auch nicht mit mir. Er ließ ihn mehr oder weniger verstreichen und ging ohne mich feiern, "weil er auch mal Zeit für sich brauchte". Dass diese Zeit immer dann war, wenn er sich die Option offen halten wollte, vielleicht etwas Cooleres zu machen, als romantische Zweisamkeit. Unter der Woche nach der Arbeit war ich gut genug. Zum Aufräumen und Hemden bügeln übrigens auch. Für Samstagabende? Sorry, nein. Ich brauche Freiraum!

Der dritte Urlaub stand an und Finn hatte mir versprochen, mit mir gemeinsam zu fahren. Auch davon ruderte er zurück. Er wolle am liebsten etwas in der Gruppe unternehmen, Mit mehreren. 

Ja klar, warum nicht? Mir war zwar nach Zweisamkeit gewesen, aber ich hatte auch einfach Lust, überhaupt Urlaub zu machen. Und er wollte mich ganz klar dabei haben, wie er mir zu verstehen gab.

Es folgten zwei wunderschöne Wochen. Er begleitete mich auf ein Festival, auf dem ich auftrat, und erhielt dank mir freien Eintritt und Freibier. Wir flogen!

Am Wochenende drauf war ich auf einem Festival und er auf einem anderen. Am Samstagmorgen rief er mich betrunken an, erzählte mir immer wieder wie wunderschön ich war und wie er mich liebte. 

Und dann berichtete er freudestrahlen, dass er seinen Urlaub mit ein paar Freunden auf Kreta verbringen würde. Bei einem Techno Festival. Ohne mich.

Ich war so vor den Kopf gestoßen, dass mir nur stumm die Tränen das Gesicht herunterliefen. 

"Aber Mausi, warum freust du dich denn nicht für mich?" - freuen? Das konnte er nicht meinen, oder? Nachdem er mich jetzt zum dritten Mal vertröstet hatte, sollte ich mich für ihn freuen? Und sowieso, er habe ja schon von Anfang an gesagt, dass er sich die Zeit freihalten wollte...

Ich ließ es los für den Moment. Am Nachmittag nagte es an mir, weil ich ganz genau wusste, ich würde nie von ihm verlangen, nicht zu fahren. Aber es tat weh zu merken, dass ich nicht nur zweite, sondern eher dritte oder vierte Wahl war. Und, dass er mir dennoch immer wieder das Gefühl gab, etwas Besonderes zu sein. Ich schrieb ihm, dass mir das quer saß. Keine Reaktion. Später rief er an, als sei alles gut. Noch etwas später rief ich ihn an, mit einem riesigen Brocken im Magen und in der Hoffnung, dass er mich trösten könnte oder mir zumindest meine Verletzung nicht absprechen würde.

"Warum machst du mir denn jetzt so ein schlechtes Gewissen?", tönte es wütend aus dem Hörer. Ich wurde so klein mit Hut, entschuldigte mich und sagte, dass ich mir doch nur gewünscht hatte, dass ihm meine Gefühle nicht so egal sind. Er legte auf, aber nicht ohne mich komplett zusammengestaucht zu haben. Zitternd blieb ich zurück, sammelte meine Einzelteile wieder auf, trocknete meine Tränen und versuchte irgendwie, noch einen schönen letzten Festivaltag zu haben. 

Nachts rief er erneut an. Er liebte mich, sagte er wieder. Er habe jetzt eh abgesagt.

Hatte er natürlich nicht. Er wollte nur von mir hören: "Nein, bitte fahr doch."
Hat funktioniert.

"Der macht dich kirre!", hatte meine beste Freundin bereits mehrfach gesagt und sie hatte Recht.

Rückblickend kam mir mein Geburtstag in den Sinn. Das Wochenende, wo ich ihm unentgeltlich acht Stunden bei der Orga einer Party geholfen hatte. Wir hatten zwar für einen Moment gemeinsam reingefeiert, aber an meinem eigentlichen Geburtstag hing er komplett in den Seilen und sah sich nicht in der Lage, nett zu mir zu sein.

"Wenn ich gewusst hätte, dass dir dein Geburtstag so wichtig ist, hätte ich gesagt: Verbring ihn lieber mit jemand anders.", boing, das saß. Hatte ich ihm doch mehrfach und ausführlich davon berichtet, wie gerne ich Geburtstag hatte und wie wichtig mir das war.

Mir fiel auf, wie er jedes Mal, wenn ich durch seine Taten oder Worte verletzt war, die gesamte Situation umdrehte, sodass am Ende ich diejenige war, die sich entschuldigte. Mir fiel auf, wie ich Zeit für ihn freihielt, damit ich ihn überhaupt mal sah, während er nicht einmal den Anstand hatte, mir mitzuteilen, wenn er sich um eine Stunde verspätete.

Was ich anfangs als irgendwie süß verpeilt und eben "Einfach Finn" abstempelte, hatte sich in einen gefährlich giftigen Tanz mit einem mindestens narzisstisch angehauchten Menschen verwandelt. Die Katastrophe war vorprogrammiert...

Und so endeten Finn und ich nicht damit, dass wir uns am Ende eines wundervollen Sommers die Hände reichten und einander das Beste wünschten - er hatte ja eh immer davon gesprochen, dass ich für immer einen Platz in seinem Herzen und Leben habe, wenn ich wollte - aber auch so sollte es nicht kommen.

Es knallte. Gehörig. Er drückte alle Knöpfe, die er finden konnte und wunderte sich anschließend, dass die Bombe hochgegangen war. Bis jetzt bin ich davon überzeugt, dass er dies mindestens unbewusst absichtlich tat. So konnte er mich mühelos einreihen bei seinen anderen irren Exfreundinnen, nur, dass ich nie seine Freundin gewesen war. Und, dass seine Exfreundinnen nicht per se irre waren. Sondern vielmehr er derjenige war, der Menschen irre machte.
Ich bin nicht stolz darauf, wie der letzte Streit geendet ist, aber ich kann mit guten Gewissen sagen: Ich habe am Ende nur mir weh getan. Niemals ihm. Ich war nie gemein, oder grausam, oder manipulativ.

"Hast du mich überhaupt jemals wirklich gesehen?", fragte ich in Anlehnung an unseren Spezialsatz bei unserem letzten Gespräch.

"Ich glaub schon...", sagte er.

"Ich glaub nicht.", dachte ich, sagte aber nichts und nickte nur.


Warum ich überhaupt so lange an allen "red flags" vorbeigelaufen bin und mir diese miese Behandlung so lange angetan habe? Ich weiß es nicht. Spätestens als Finn sagte, er sei wohl gar nicht in mich, sondern nur in die schönen Momente verliebt gewesen, war mir klar:
Dieser Mensch hatte meine Liebe nie verdient.

Es wäre ein leichtes, zurückzublicken und zu sagen: "Was ein Arschloch.", aber damit würde ich meinen Anteil außer Acht lassen. Es gehören eben immer zwei dazu:

Einer, der die anderen mies behandelt und andere, die sich das gefallen lassen.

Ich habe mich so hart unter Wert verkauft und wenigstens daraus hab ich gelernt. 
Ich bin toll. Ich verdiene Liebe. Und wer mich immer wieder nicht entsprechend behandelt, hat keinen Platz in meinem Leben verdient.

Und es ist auch nicht alles nur bitter: in seiner wundervollen Ex-Freundin, habe ich eine neue Freundin und Schwester im Herzen gewonnen. Aber das ist eine andere Geschichte. 



Leb wohl, Finn.

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