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Bob Besitzanspruch

Bob heißt bei mir Bob, weil er mich an Marley erinnert.
Er hat Vorfahren aus Jamaica, trägt einen (wenn auch eher kurzen) Afro und liebt neben Reggae auch das Wunderkraut, das auf der gleichnamigen Insel ja durchgehend konsumiert wird, wenn man den Klischees Glauben schenken darf.


Bob war nett und geduldig. Und ein Rematch. Im Winter 2018 hatten wir einander zum ersten Mal gematcht. da war ich aber noch im Loch und hatte viel zu viel Angst vor Enttäuschung, als dass ich mich an ein Treffen getraut hätte. Ich hatte mir zwar vorgemacht, da würde schon gehen, aber letzendlich beendete ich den Kontakt relativ unsanft mit der Erklärung, ich sei einfach nicht bereit für eine romantische Beziehung oder den Aufbau einer solchen.

Beim Rematch im Juni 2019 wusste ich nicht mehr genau, wie der Kontakt ausgelaufen war. Bob schon. Ich entschuldigte mich und erklärte meine damalige Gefühlslage. Er verstand. Er hatte mich trotz allem wieder gematcht, weil er mich für besonders hielt.

Im Sommer schickte er mir jeden Abend eine Sprachnachricht, in der er kurz von seinem Tag erzählte und mir einen schönen Abend wünschte. Dabei schmeichelte er mir regelmäßig, war aber nicht schleimig oder heuchlerisch. Ich freute mich über seine Nachrichten. Es war warm, ich war gerade umgezogen, saß jeden Abend auf  meinem neuen Balkon und genoss es, allein und zusammen zu sein. Mit Bob hätte mich durchaus gern getroffen: da gab es nur ein paar Probleme.

1. Der Sohn. Bob hatte einen, der gerade bei ihm war, um die Ferien gemeinsam zu verbringen. Total schön natürlich, aber eben nicht ganz praktisch - zumindest wenn man ein wenig bei Verstand ist und seinen kleinen Sohn nicht zum ersten Tinderdate mitschleppen möchte.

2. Der Abstand. Bob wohnte in Paderborn. Oder Gütersloh. Oder Bielefeld. Um ehrlich zu sein: Ich weiß nicht mehr genau, wo er wohnte. Irgendwie kommen die Singlemänner alle aus der Ecke.
Aaaaaaaber: So ein Abstand muss ja kein Problem sein, womit wir in diesem Fall aber bei Punkt 3 wären.

3. Der Führerschein. Bob hatte keinen. Überraschung. (Ich schwöre ja, dass es eine Korrelation gibt zwischen Führerscheinlosigkeit und Singledasein. Also Männer: Macht einen Führerschein, sonst bleibt ihr für immer allein. - kleine Gratis-Eselsbrücke)

Nööö den hatte er auch nie gebraucht. Nöööö irgendwie war er auch immer so rumgekommen.
Nööööö wollte er jetzt auch nicht mehr machen. (Ich hab ja bei Führerscheinlosen immer die direkte Assoziation, dass es sich um Menschen handelt, die sich ganz gerne von anderen rumfahrne lassen... aber gut... Vorurteile.. Schubladendenken... nöööööö)
Aber Zugfahren wäre für ihn ja gar kein Problem, sagte er so unkompliziert, wie es nur ein Stoner sagen kann. Ich war guten Mutes. Wenn es uns beiden auskommen würde, dann würde ein Treffen schon stattfinden.

Bis dahin schrieben wir weiter jeden Abend. Tagein, tagaus. Nichts Tiefgründiges, eher Lapalien, aber es war durchaus angenehm. Bob sagte zwischendurch immer mal wieder, dass er mich ja gerne treffen würde. Ich antwortete, dass er absolut und immer willkommen sei. Er müsste nur sagen, wann.

Jetzt könnte der ein oder andere Schlaumeier sagen: "Tinderbeld, warum bist du denn nicht selbst zu ihm hingefahren? Kannste doch mal machen?"
Diesen naseweisen Pastinakwurzeln sage ich nur keck: "Ich hatte aber keine Lust."
Ich war die führerscheinlosen Schluffis ein wenig satt. Wenn Bob mich so gern sehen wollte, dann konnte er auch genauso gut zu mir kommen. Ich war gerade erst in meiner neuen Wohnung gelandet, packte täglich noch das ein oder andere aus und fühlte mich ganz einfach viel zu sauwohl, um jetzt für ein potentiell schlechtes Date 40 Minuten Auto zu fahren. Das hatte ich auch ganz ehrlich so kommuniziert. Davon abgesehen, hatte ich zu diesem Zeitpunkt nicht de unbedingten Anspruch, eine Beziehung zu beginnen. Ich war zufrieden mit meinem Leben. Wer Teil davon sein wollte, musste erstmal beweisen, dass er das Wert war.

Während Bob und ich schrieben, tinderte ich natürlich weiter vor mich hin. Ich war nie der Illusion verfallen, jeder Mann würde auf Tinder nur mit mir schreiben und seine anderen Kontakte sofort verwerfen. Eigentlich war ich mir ziemlich sicher, dass NIEMAND auf Tinder dieser Illusion verfallen war. Bis ich es wagte, mein Profilbild zu ändern...

Ich hatte ein neues sommerliches Foto von mir selbst zu meinem Profil hinzugefügt und auch wenn ich neben Bob nicht hunderte von Gesprächen mit anderen Mänern führte, gab es natürlich auch ein paar andere Konversationen. Kein Kontakt war so langwierig, wie der zu Bob, mit em ich inzwischen schon seit circa zwei Monaten schrieb, aber er war zu keinem Zeitpunkt mein alleiniger Gesprächspartner gewesen. Ich hatte auhc niemals gedacht, dass das ein Problem sein könnte, wir hatten uns ja noch nicht einmal getroffen. Aber da brach eine Lawine über mich herein, die ihresgleichen suchte.

"Hey Tinderbel, hab eben mal nach längerem bei Tinder geschaut.. Hab einige Bewerbungen bekommen und gesehen, dass du ja auch einiges erst gestern in den newsfeed gepackt hast.. Naja jedenfalls weiß ich mittlerweile aus Erfahrung, dass man durch ewige Schreiberei ganz schnell in der friend zone landet. Davon hab ich mittlerweile so ein paar. Möchte ich das.. Eigentlich nicht. Bin gerade in so einer Phase, wo ich gar nicht weiß, ob ich mich binden könnte. Von daher schlage ich mal etwas vor, was ich so in der Form selbst noch nie vorgeschlagen habe, selbst aber schon angeboten bekommen habe. Vielleicht schwebt dir ja so etwas vor wie ne Freundschaft plus...Sich treffen, nett unterhalten, rauchen, lachen und meine jamaicanischen Gegen spüren... Nur mal so in den Raum geworfen... Glaub sowas kann ich mittlerweile und bevor du jetzt ewig Werbung bei Tinder machst und vielleicht doch so etwas suchst, dachte ich, sag ich das mal."
(Originale Nachricht, nur Satzzeichen hinzugefügt und Fehler verbessert)

So weit, so gut. Ich schätze ja Ehrlichkeit und wenn diese Nachricht seiner tatsächlichen Absicht entsprochen hätte, wäre das Ganze wohl nicht halb so schlimm gewesen. Aber dies war noch nicht das Ende.
Ich gab ihm zurück, dass ich es absolut nicht nachvollziehen kann, wie man auf die Idee kommt eine Frau nach Freundschaft Plus zu fragen, die man noch nie getroffen hat. Wie zum Teufel kommen Männer auf die Idee, solche Vorschläge mit Frauen zu besprechen, die sie gar nicht kennen? Davon abgesehen muss man wissen, dass ich nur ein neues Foto hochgeladen hatte, weil ich ein anderes löschen wollte. Das vorherige Foto hätten einige Menschen, und ganz besonders die Autorin eines Rietberger Schmuddelblattes, durchaus als sinnlich bezeichnen können. Da ich aber keine Lust mehr auf unseriöse Anfragen hatte, hatte ich es ausgetauscht. Das war alles. Spannend ist ja auch, dass Bob hier ein klaes Urteil über meine Aktivität auf Tinder hatte, während er selbst ja genauso auf Tinder aktiv gewesen war - sonst hätte er das Foto gar nicht gesehen.

Ich hab ihm außerdem zurück, dass es nur so lange beim Schreiben geblieben war, weil er nicht vorbeigekommen war und dass ich gesagt hatte, er wäre zu jedem Moment willkommen.

Die eigentliche Lawine kam danach. Bob behauptete jetzt nicht nur, ich hätte ihm nie eine Einladung ausgesprochen, sondern außerdem, er hätte die Freunschaft Plus nur in den Raum geworfen, um meine Reaktion darauf zu erfahren. Wenn er wirklich so etwas gesucht hätte, hätte er wohl kaum wochenlang mit mir geschrieben und dies außerdem von Anfang an gesagt
Er fuhr fort mit folgenden Worten:
"Müsstest eigentlich wissen, dass ich etwas tiefgründiger bin... Der Treiben auf Tinder.. Was du auch zwischendurch durch feeds gemacht hast, ist dagegen n Zeichen, dass dir ne Kommunikation mit mir nicht reicht. Ich mach dann auch bei Tinder weiter, liebe Tinderbel. Auch wenn ich eine andere Antwort erwartet habe, als mir mein Verhalten an den Kopf zu werfen! Sowas habe ich noch nicht erlebt. Bye Sweetness."

Fragt mich bitte nicht, was er meint mit "Der Treiben auf Tinder" - ich denke er meinte "Dein Treiben". Was genau "feeds machen" bedeuten soll, ist mir völlig schleierhaft. Er ist wohl wahrlich aus einer anderen Generation...

Um das Ganze mal zusammenzufassen: Bob geht selbst auf Tinder. Dort sieht er, dass ich auf Tinder aktiv war und rastet innerlich völlig aus. Das allein zeigt natürlich schon eine ganz grandiose Doppelmoral.
Im weiteren Verlauf heckt er einen Plan aus und macht mir ein Fake-Angebot, dass so gar nicht seinem Charakter entspricht. Nur um mich zu Testen. Als ich darauf schockiert reagiere und sein Angebot ganz klar zurückweise, wird er wütend, dass ich sein -geschauspielertes- Verhalten nicht gut finde und ihm spiegel. Sowas hat er noch nicht erlebt!

Ich bin bis zum heutigen Tag völlig geplättet, wenn ich diese Nachrichten lese. So viel Unvernunft habe ich selten gesehen. Wie zum Henker kommt ein Mensch auf die Idee, Besitzansprüche an jemanden zu haben, den man noch nie getroffen hat? Den man nicht einmal ernsthaft versucht hat zu treffen?
Gern würde ich behaupten, Bob wäre der einzige Tinderianer mit diesem Verhalten gewesen. Ich erinnere mich aber mindestens noch an einen anderen, der mir sehr entzürnt schrieb, nachdem er in meinem WhatsApp Status ein Foto von mir und einem (schwulen!) Kumpel gesehen hatte. Er fragte nicht nach, wer das auf dem Foto sei. Er wurde unweigerlich wütend und fragte mich, was das sollte und warum ich mich so demonstrativ mit einem anderen Mann ablichten ließ. Geht's denn noch?

Das Gespräch mit Bob drehte sich noch kurzim Kreis. Er warf mir vor, ich würde mir leider immer wieder selbst widersprechen (da verwechselt er wohl mich mit sich selbst).
Er fragte mich, wie ich es gefunden hätte, wenn er neue Fotos von sich hochgeladen hätte (wäre mir absolut schnuppe gewesen) und gab an, dass man das Werbung nennt und es ja unbedacht von mir gewesen sei, dies so offensichtlich zu tun...

Was soll ich dazu noch sagen? Ich war unbedacht, aber auf eine ganz anere Art. Ich unterlag der neumodischen Einstellung, dass ich keinem Mann gehöre - und schon gar nicht einem, den ich noch nie getroffen habe. Ich feministische Dampfnudel aber auch!

Bob schloss mit den Worten, dass ich ihn mir nur warm gehalten hätte "[...] bis dann bei Tinder plötzlich der gutaussehende Musikertyp steht mit Lappen und allem was du dir wünscht. Das Lben ist aber kein Wunsch Konzert." Im Nachhinein hätte mir glaub ich schon ein Typ gereicht, der die Interpunktion und Rechtschreibung einigermaßen beherrscht...
Ich wünschte, Bob hätte nach dieser Nachricht aufgehört. Es war ja irgendwie alles schon dämlich genug: Da das Leben kein Wunschkonzert ist, hätte ich mich ganz ihm hingeben müssen, oder wie? Gute Vorraussetzungen für eine gemeinsame Zukunft.

Er hörte aber nicht auf. Er tischte mir die Geschichte auf, warum er keinen "Lappen" mehr hatte. Eine dramatische Geschichte,  rundum einen verstorbenen Vater und seinen verwirrten Sohn (Bob), der kurz danach seine Freundin inflagranti mit einer anderen Frau erwischt, sich die Birne wegkifft und dann am nächsten Tag von der Polizei angehalten wird und seinen Führerschein verliert.
Dann sagte er: "Wenn du statt mir n "N*gga wärst-- Hätte ich den lappen und du würdest da sitzen."

Ich glaube es ist unnötig zu erwähnen, wie unfassbar daneben ich dieses Wort finde - egal, wer es benutzt. Die Argumentation, seine Hautfarbe sei daran Schuld, dass er mit THC im Blut gefahren ist und den Lappen verloren hat, geht natürlich nicht auf. Ein typischer Fall von Menschen, die keinerlei Eigenverantwortung für ihr Leben übernehmen wollen und denen alles nur "passiert".
Mich erschreckte vor allem, wie lang es gedauert hatte, bis er diese Seite gezeigt hatte. Ein weiterer Grund in Zukunft bei meiner Devise zu bleiben:

Im Voraus einer Freundschaft Plus,
steht nicht nur ein guter Kuss.
Gerät er schnell aus der Fasson,
lad ihn nicht ein auf dein' Balkon.






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