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Der Kiffer & das Malzbier

Ich war begeistert von Tobis Fotos! Mittelbraune Haare, leicht lockig, tolle Augen, schöne Gesichtsform, Bart (sehr wichtig!) und ein keckes Lächeln.

Wir matchten uns im Juni. Er war herrlich gestört und schaffte es, mit seiner sehr unkonventionellen Art, mich ziemlich um den Finger zu wickeln. Obwohl er sehr früh im Gespräch sagte, er wäre ein Mensch, der nicht bei vielen gut ankommt, war ich am Haken. Oder vielleicht gerade deswegen. Ich war entschlossen, nicht zur Mehrheit zu gehören: Ich würde ihn mögen! Menschenrettende Heldin, die ich war!

(Auf Dauer wird es vielleicht Zeit, dieses Menschenrettenmotiv zu hinterfragen und noch viel wichtiger: hinter mir zu lassen... Oh je...)

Trotz meiner starken Telefonierangst, betrieben wir 4 Tage lang jeden Abend Videotelefonie. Im bewegten Bild war er sogar noch süßer, als auf den Fotos! Und er war unglaublich schräg und brachte mich in einer Tour zum Lachen. Gutes Zeichen, oder?
Die schlechten Zeichen, wie: "Ich bin gerade arbeitslos, weil es Stress auf meiner alten Arbeit gab." und "Meine Wohnung ist fast leer, weil ich bald raus muss, weil der Vermieter mich hier nicht mehr will.", ignorierte ich natürlich wieder einmal geflissentlich. Gnadenlose Ehrlichkeit macht mich ja oft gnädig.

Da er in Hamm wohnte, aber nicht mobil war, sprachen wir ab, dass ich ihn nach der Arbeit besuchen würde. Es war Sommer, es war warm, meine Haare saßen gut und ich saß im Auto auf dem Weg nach Hamm. Leider funktionierte meine Klimaanlage nicht richtig, weshalb ich mit offenen Fenstern fuhr. Aber meine Haare!? Kurzentschlossen wickelte ich ein im Auto liegendes Tuch sanft um meine Haare, als säße ich im Cabrio. was tut man nicht alles für einen guten ersten Eindruck?

Ich parkte, suchte die Wohnung und klingelte. Obwohl ich bereits wusste, dass Tobi gern mal lustige Zigaretten rauchte, war ich nicht vorbereitet, auf das was mich erwartete:
Die Tür wurde geöffnet von einem sehr schmächtigen Männlein mit einer riesigen Sonnenbrille auf dem Kopf. Dazu schlug mir eine Grasgeruch entgegen, der sich gewaschen hatte.
Das schmächtige Männlein umarmte mich halb schüchtern, halb verpeilt und ich folgte ihm mit einem unbehaglichen Gefühl ins Wohnzimmer. Dort fläzte er sich direkt auf die große Couch und ich setzte mich daneben. Das Gespräch kam, ander als am Telefon, überhaupt nicht in Gang. Tobi war deutlich breit und rauchte seine Zaubertüte genüsslich neben mir weiter. Ich war ziemlich erschlagen von dieser Dreistigkeit: Dieser Typ hatte sich also trotz unseres Dates am Nachmittag (es war immerhin erst 15:00 Uhr!) völlig aus dem Leben gekifft und hörte auch nicht damit auf.
Ich meine, ich habe überhaupt nichts gegen Zaubertüten, aber was sollte denn diese Show?
Zudem trug dieser Typ nach wie vor eine Sonnenbrille, was mein unbehagliches Gefühl noch bestärkte. Noch nie hatte ich ihm live in die Augen gesehen, und auch wenn ich kein Typ von gesellschaftlichen Konventionen bin: Man trägt nicht kontinuierlich eine Sonnenbrille bei einem ersten Date im eigenen Wohnzimmer...

Aus lauter Unbehagen, oder weil er einfach extrem gestört und dreist war, suchte Tobi immer wieder unbeholfen Körperkontakt mit mir. Wir kannten uns 10 Minuten in real life und er füßelte mich auf der Couch liegend an. What the fuck?!

Zu Trinken hatte er nur Vitamalz. Das bot er mir zwar an, sagte aber dirket nachdem er es geöffnet hatte, dass er das von seinem letzten Geld gekauft hatte. Er habe nur ein paar Flaschen und gestern habe er eine vergessen leer zu trinken und sich sehr darüber geärgert.
Na toll. Nicht nur, dass ich überhapt kein Vitamalz mag, jetzt war ich also auch noch gezwungen diesen halben Liter Ekelbrühe leer zu trinken und musste mich dabei schuldig fühlen, weil ich sein letztes Getränk trank.

Über seine Fersen sah ich zwei Tattowierungen: Stay Alive, jeweils ein Wort pro Knöchel. Ich fragte ihn, ob es einen Anlass für dieses Tatto gab. Er sagte, er wollte ursprünglich Burn, Baby, Burn tattowieren lassen, habe dafür aber zu wenig Knöchel gehabt. Unweigerlich musste ich lachen. Außer dreist und unangenehm, war er immerhin auch lustig.

Mein Kopfkino ging los: "Mit der richtigen Choreo würde das schon gehen.", sagte ich. Er sah mich fragend an.
Ich unternehme jetzt mal den Versuch zu beschreiben, was ich ihm daraufhin vortanzte:
Ich sagte er solle sich vorstellen, dass auf der Vorderseite meiner Knöchel jeweils "Burn" und "Baby" stand, während auf der Rückseite "Disco" und "Inferno" stand. Dazu tanzte ich vor ihm:
Vorderseite zu ihm gedreht Stampfer mit dem rechten Fuß, Stampfer mit dem linken Fuß und Kreuzschritt mit rechts, sodass Burn, Baby, Burn entstand, worauf ich mich mit einem Sprung herumdrehte und das imaginäre "Disco Inferno" zum Vorschein kam.
Ich sah ihn stolz und erwartungsvoll an. Das war genau der Blödsinn, den ich mir gern ausdachte und ich hatte sichtlich Spaß.

Tobi nicht.
Er sah mich ungehalten an: "Das passt überhaupt nicht!", platzte er heuraus, "Und überhaupt: Warum sagst du das so blöd? Inföööörno! Inföööörno!"

Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Was zum Henker hatte ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht? Durch mein Hirn waderte nur ein großes Fragezeichen. Ich versuchte mich zu erklären:
"Wie soll ich das Wort denn sonst aussprechen?", fragte ich lachend, wie ein Bauer mit Zahnweh.

"Weiß ich nicht.", schaunzte er, "Einfach normal."

Das kann ich ja gerade gut haben. Leute, die mir erzählen, ich habe Unrecht, wenn ich mir ziiiiiiemlich sicher bin, dass ich Recht habe. Ich machte das Original an und zeigte uns beiden, wie der Sänger Ash den Chorus exakt so sang, wie ich zwei Minuten zuvor. Tobi zuckte nur die Schultern.
"Es passt trotzdem nicht.", murrte er mich an, jetzt deutlich aggressiver. Ich versuchte verzweifelt die Situation zu retten, präsentierte ihm nochmal den Tanz, woraufhin er mir zu verstehen gab, dass ich es diesmal ja ganz anders machte als beim ersten Mal, wodurch es nun passte, aber erst nicht.

Ich gab auf. Natürlich hatte ich rein gar nichts anders gemacht, aber dieser Typ war eindeutig noch viel gestörter, als der Rest der Tinderianer. Schmerzlich erinnerte er mich sogar an mich selbst und an eine Zeit, in der ich vor Paranoidität kaum aus dem Haus kam. Eine Zeit in der Fremde zu bedrohlichen Feinden wurden, wenn sie nur schräg guckten und in der ich das Gefühl hatte, die Welt hätte sich gegen mich verschworen.

Tobi klammerte sich währenddessen an sein Zauberkraut, baute eine neue Tüte und tat, als wäre alles gut. Wir redetet nicht mehr miteinander. Kein einziges Wort.
Die Atmosphäre war zum Bersten gespannt, sein aggresiver Ton hing bedrohlich in der Luft. Ich hatte Angst. Das war die unangenehmste Stille meines ganzen Lebens. Ich saß wie festgewachsen auf der Couch. Was hatte ich mir doch alles von diesem Date erhofft! Am Vorabend hatte ich noch einem Freund von den Datingplänen erzählt und er hatte verschwörerisch gesagt, er habe ein gutes Gefühl dabei.
Pustekuchen.

"Das einzige was du jetzt tun musst, ist aufstehen und sagen, dass du dich jetzt mal auf den Weg nach Hause machst.", dachte ich. Wenn er mich nur nicht versucht, wieder zu umarmen. Zu allem Überfluss musste ich von dem ollen Malzbier unfassbar dringend aufs Klo, weshalb ich mir in meinen Fluchtplan bereits einen McDonalds-Besuch einplante: Zum Frustfressen und Pipi machen.
Sobald ich aus der Tür raus wäre, könnte ich ihn blockieren und nie wieder sehen. Oder nein. Nicht blockieren. Das bestätigte seine Paranoidität ja nur. Vielleicht kommt er entgegen aller Erwartungen wieder zu Verstand und möchte sich entschuldigen, oder wenigstens erklären.

Schöne Idee, aber dafür musste ich zuerst einmal aufstehen... Das Verlangen, selbst an der Zaubertüte zu ziehen, wuchs. Aber selbst, wenn ich wirklich gewollt hätte, hatte er mir das ja gar nichtsangeboten. Ich sah den Suchtdruck in seinen Augen. Wie eine gierige Elster schob er jeden noch so kleinen Krümel zurecht. Pure Verzweiflung - bei uns beiden - aber aus unterschiedlichen Gründen. Irgendwie tat er mir Leid.

Es nützte ja nichts, ich hatte inzwischen fünfmal visualisiert, wie ich aufstehen würde und dann plötzlich tat ich es: Ich trank den letzten Schluck Plörre, stand auf und murmelte: "Ich fahr dann mal wieder.", in die bereits minutenlang andauernde Stille.
Wie von der Tarantel gestochen sprang Tobi auf mit einem: "Okay."
Er schien erleichtert, dass jemand die Situation durchbrochen hatte.

"Du musst nicht mit zur Tür kommen.", sagte ich in einem Anflug von Panik. Er lief trotzdem mit, hielt mir die Tür auf und machte glücklicherweise keine Anstalten mich zu umarmen. Ich schob mich mit einem unangenehm herausgequetschten "Tschüss.", an ihm vorbei.

Sobald ich aus der Tür raus war und sie hinter mir ins Schloss fiel, überkam mich eine Welle der Erleichterung.
Ich lief zum Auto, so schnell es ging, ohne den überdeutlichen Eindruck einer Flucht zu erwecken. Dort angekommen schickte ich direkt hektische Sprachnachrichten an meinen Kumpel vom Gespräch am Vorabend und erzählte ihm von meinem Elend.

Ich fuhr zu McDonalds, erleichterte meine zum Bersten gefüllte Blase und bestellte mir ein dickes fettes Menü. Ich wollte gerade die Antwort von meinem Kumpel abhören, als ich sah, dass bei Tobi kein Profilbild mehr angezeigt wurde.

Blockiert.
Pats Bumm!
Sein Ernst?!

Sofort bereute ich ein wenig, IHN nicht blockiert zu haben. Wozu blockierte mich dieser Wicht eigentlich? Damit ich ihn nach diesem grandiosen ersten Date nicht stalkte? Kurz wurde ich wütend, denn das werde ich oft.
Ach was soll's. Meine Einschätzung seiner Paranoidität hatte sich bestätigt. Er hatte vorsichtshalber sogar beide meiner Profile auf Instagram blockiert. Wie gründlich!

Nachdem ich mich ausreichend mit vitaminhaltigen Burgern und Fritten gestärkt hatte, fuhr ich zu besagtem Kumpel. Auf dem Weg dahin machte ich das Fenster auf und ließ meine Haare vom Wind durchpeitschen: Wen interessierte es eigentlich, ob meine Locken perfekt lagen? Und welcher Mann war es wert, im stickigen Sommer gut betucht im Auto zu sitzen?

Das hier, ja, genau das hier. Diese Freiheit. Das war es, was das Leben schön machte. Und kein lauwarmes Malzbier im Kifferdunst. Ich verlebte noch einen grandios lustigen Abend bei meinem Kumpel und wir lachten uns scheckig, über die Absurdität dieses furhctbaren Dates.

Ciao Tobi. Bis nie.

Und Hallo Tinderbel! Willkommen zurück im Leben.




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