Du erinnerst dich noch an den Hippie, das Picknick und die Füße?
Gut. Dann kann es jetzt ja weitergehen.
Das Picknick lag hinter uns. Es waren inzwischen ein paar Wochen vergangen, Rudi und ich schrieben eher ungregelmäßig miteinander, als ich plötzlich eine Einladung auf Facebook von ihm erhielt. Ein 30. Geburtstag im Festivalstil: 3 Tage, 2 Nächte mit Zelten und Lagerfeuer - das klang ja irgendwie ziemlich gut. Mir war natürlich klar, dass ich dort niemanden kennen würde und fragte mich noch, ob Rudi mich aus purer Höflichkeit eingeladen hatte, doch im Einladungstext hieß es: "Egal wie lange wir uns kennen, jeder von euch hatte einen besonderen Einfluss auf mich und ich möchte gern mit euch gemeinsam feiern." (oder so ähnlich)
Das enstprach ganz genau meinem Stil. Ich neige auch dazu, jeden Hinz und Kunz einladen zu wollen, der mich mal irgendwann 2 Minuten inspiriert hat und so beschloss ich, der Einladung zu folgen. Es sollte noch einige Wochen dauern bis zu Feier und ich versuchte hier und da, den Kontakt wieder etwas zu beleben. Rudi war mit seinem Kopf aber überall und nirgends, und da ich kein tieferes Liebesinteresse an ihm hatte, ließ ich die Zeit einfach verstreichen - allerdings nicht ohne nochmal zu fragen, ob ich nach wie vor Willkommen sei auf seiner Feier.
Das war ich, ganz bestimmt sogar, versicherte er. Und so machte ich am besagten Wochenende noch fix einen leckeren Nudelsalat und transportierte ihn in meiner einzigen Plastikschüssel zum Ort des Geschehens: Dem weitläufigen Garten seiner Eltern, in der Nähe von Soest. Heimspiel quasi, denn in nur 20 Minuten war ich da und ich war dann auch glatt eine der ersten Gäste.
Ich hatte mein Zelt, Decken und meine Gitarre eingepackt und parkte meinen kleinen roten Flitzer vor einem wunderschönen paradiesisch grünen Hof. Begrüßt wurde ich von Maria, der jüngeren Schwester von Rudi, die mich ganz höfdlich siezte und mir zeigte, wo der Rest sich aufhielt.
Ich war wahnsinnig beeindruckt von dem Bild was sich mir bot: Ein altes Steinhaus mit riesigem Garten inklusive Obstbaumwiese, Trampolin, Bankschaukel und Pferdekoppel. Ein Partyzelt stand bereits und davor stand wiederum Rudi, der noch eifrig damit beschäftigt war, unzufrieden über die Aufstellung der Sitzmöbel in selbigem zu sein. Er begrüßte mich herzlich, aber deutlich gestresst. So fühlte ich mich zwar ein klein wenig wie bestellt und nicht abgeholt, aber ich hatte bereits entschieden, dass ich als Alleingänger auf diesem Geburtstag sehr assertiv sein musste. Als Gastgeber muss man sich ja bekanntlich um alle kümmern und hat keine Zeit für Kinderbetreuung. Ich nahm es deshalb auch nicht schwer, sondern stellte meinen Nudelsalat ab. Kurz hatte ich zuvor noch Panik bekommen. Der Nudelsalat war mit Würstchen bestückt und ich erinnerte mich partout nicht mehr, ob Rudi nun Vegetarier war, oder nicht. Hatte in der Einladung nicht etwas gestanden von veganen Häppchen? Oh jeminee... Flashback zum Veganistendate...
Doch meine Sorge stellte sich als völlig unbegründet heraus: Im Gegenteil, die Gäste waren sogar froh, dass im Salat Fleisch drin war. Ich bin ja absolut kein Vega-Gegner, aber... Ach Mist. Wer Sätze so anfängt, ist eigentlich imemr genau das, was er gerade ausgeschlossen hat. Das Ruder krieg ich jetzt nicht mehr herumgerissen... Egal.
Der Salat kam gut an bei den ersten Gästen und ich war vor allem zufrieden, dass alle so nett waren. Über 50% der Partygäste waren eine große Freundesgruppe, in der jeder jeden kannte. Die sahen wahnsinnig hip aus und ich fühlte mich mal wieder wie das hässliche Entlein zwischen lauter Schwänen. Da es zudem schwierig ist, bei einer geschlossenen Gruppe dazwischen zu kommen, hängte ich mich erstmal an die Cousine von Rudi und ihren Mann. Die frotzelten zwar die gesamte Zeit gegeneinander und man fragte sich zeitweise, wie sie überhaupt zueinander gefunden hatte, aber sie waren nett. Beide.
Dann geschah das, was der Albtraum jeder Tinderbekanntschaft ist: Ich wurde gefragt, woher ich denn den Rudi überhaupt kenne.
Klar. Hier hätte ich vorher drüber nachdenken sollen. Vielleicht wäre es auch gar nicht dumm gewesen, mich mit Rudi abzusprechen, aber der Zug war abgefahren. Blieb nur eins: Gnadenlose Ehrlichkeit.
"Ähm jaaa...", druckste ich herum, "um ehrlich zu sein kennen wir uns über Tinder... und das hier ist auch erstunser zweites Treffen." Das Ding ist: Mir persönlich ist das ja gar nicht so unglaublich peinlich, aber man weiß ja nicht, wie das der andere sieht. Ich hatte immerhin auch mal ein Date, wo mir der Datingpartner vorher eine 7-minütige Sprachnachricht geschickt hat um mir zu erklären, warum ich auf gar keinen Fall (!!!) sagen darf, dass wir uns von Tinder kennen.
Die Cousine und ihr Mann fanden es jedenfalls lustig und spannend. Ich ergriff die nächste Gelegenheit, Rudi zu fragen, ob ich mir etwas anderes ausdenken müsse, aber er verneinte lachend. Ihm war das genauso schnuppe wie mir. Top!
Im Laufe des Abends rutschte ich dann doch in die Münsteraner Freundesgruppe und ich war ziemlich begeistert, wie toll diese Menschen waren. Die waren so toll, dass ich am liebsten direkt Teil von ihnen geworden wäre. Tief in mir drin wusste ich aber auch, dass die Basis zwischen Rudi und mr für eine tiefe Freundschaft nicht reichte. Irgendwie war dieser Mann mir einen Ticken zu schräg; zu verkopft; zu verwirrt. Diese Einschätzung sollte sich am nächsten Tag dann auch bewahrheiten...
Der Abend verlief feuchtfröhlich. Um 0:00 Uhr sangen wir ein Lied für Rudi und er freute sich sichtlich. Es wurde gelacht, gesungen, geschrieben und Stockbrot am Lagerfeuer gemacht. Abgesehen von mir hatte sich nur ein weiteres Pärchen entschieden, über Nacht zu bleiben. Die hatten sich aber im Voraus bereits das Gästezimmer im Haus gesichert. Rudi und ich waren die letzten, die im Partyzelt übrig blieben. Er sagte mir, wie cool er es findet, dass ich mich so gut integriert hatte und er sich nicht um mich kümmern musste. Das fand ich auch sehr cool von mir und ich freute mich. Wir knutschten noch ein wenig und an mehr kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Ich weiß aber noch, dass ich irgendwann in mein Zelt stapfte, das einsam und allein in dem riesigen Garten stand. Tolle Zeltparty.
Warum Rudi mich nicht mit ins Haus gefragt hatte und in sein Zimmer war mir schleierhaft, ka mir aber sehr gut aus. Ich wollte nämlich nur noch eins: Schlafen.
Das gelang mir sogar einigermaßen, trotz Kälte.
Am nächsten Morgen war ich recht früh wach, versuchte mich notdürftig im Zelt aufzufrischen, bevor ich auf die Suche nach dem Rest von Schützenfest gehen wollte. War aber gar nicht nötig, denn auf einmal hörte ich Schritte im Gras und Rudi's Stimme, die mir einen Guten Morgen wünschte und verkündete, es gäbe gleich Frühstück im Haus.
Am Frühstückstisch angekommen, begrüßten mich Rudi's Eltern, seine Schwester und das andere Pärchen. Durch diese Konstellation und die Fragen, die von Rudi's Eltern an mich gestellt wurden, bekam ich das leichte Gefühl eines "ersten Kennenlernens" mit den Eltern meines Gebliebten. Rudi war aber nicht mein Geliebter und so war ich entspannt und amüsiert, während mir die Anspannung von Rudi jedoch nicht entging. War ihm das so unangenehm? Oder war es nur der Kater vom Alkohol und lustigen Zigaretten des Vorabends?
Rudi plante den weiteren Tag, denn abends sollte die zweite Party steigen. Die Münsteraner wollten teilweise wiederkommen und andere Freunde hatten sich ebenfalls angekündigt. Ich war müde, aber durchaus motiviert. Rudi wollte seinen Pärchenfreunden gerne das Naturgebiet zeigen und fragte mich, ob ich mitkommen würde. "Klar gerne!", sagte ich. Was sollte ich denn auch sonst in der Zwischenzeit tun?
An seiner Reaktion meinte ich eine leichte Enttäuschung zu spüren. Hä? Wollte er gar nicht, dass ich mitkomme? War ich jetzt dieser Gast, der zu lange blieb? Aber er hatte mich doch eingeladen?
Ach ja, vielleicht war es ja wiederum nur der Kater und steckte ich mitten in der Überinterpretation - wie so oft. Wir stiefelten also zu viert los. Ich gebe zu, die Stimmung war irgendwie leicht angespannt und ich fühlte mich ein wenig wie das 5. Rad am Wagen. Ich war aber fest entschlossen, mir das nicht anmerken zu lassen und mich einfach zu entspannen. Meine Stimmung war leicht niedergeschlagen - nur warum konnte ich nicht richtig greifen. Unterwegs trafen wir noch eine radelnde Frauengruppe, denen ich fröhlich entgegenschmetterte, dass der Rudi Geburtstag hatte. Sie stimmten enthusiastisch ein Lied an und Rudi ließ sich feiern: "Guck mal!", dachte ich zu mir selbst, "Da hast du doch schön dazu beigetragen, dass der Geburtstag noch extra besonders ist.", und freute mich.
Zurück am Haus entschied Rudi, dass er sich ein wenig hinlegen würde. Das Pärchen wollte duschen und ich druckste ein wenig herum, dass ich mich auch nochmal hinlegen würde oder so...
Im Kopf hatte ich bereits entschieden, dass ich mein Zelt packen würde, um erstmal einen Abstecher nach Hause zu machen. Abends würde ich dann wiederkommen und entweder nichts trinken und fahren, oder aber im Auto schlafen. Ich fand mich wahsinnig cool und unkompliziert, nur traute ich mich nicht so ganz, Rudi von meinem Plan zu erzählen. Irgendwie habe ich es dann aber geschafft, ihm noch fix zu sagen, was ich mache. Rudi reagierte wahnsinnig lässig und entspannt, wie immer und machte sich auf ins sein Bett.
An dieser Stelle sollte ich kurz erwähnen, dass es an diesem Tag keinen Kuss oder sontigen romantischen Moment zwischen mir und Rudi gab. Dennoch schien von dem Pärchen und auch von seinen Eltern ein Vibe auszugehen, den Menschen immer nur frisch Verliebten gegenüber haben, wenn sie denken, dass man die Verliebtheit noch nicht ansprechen darf, weil sie viiiiieeeel zu frisch ist. Wir waren aber nicht verliebt. Ich jedenfalls nicht, und ich müsste mich doch sehr wundern, wenn Rudi sich schon in mich verliebt hätte. Ich spürte da nämlich ein gar nichts aus seiner Richtung. War aber auch schnuppe, wir verstanden uns halt einfach gut und knutschten beide gerne. Nicht mehr und nicht weniger.
Ich packte meinen Kram, abgesehen von meiner Plastiksalatschüssel, die noch nicht leer war und fuhr nach Hause. Dort angekommen, sah ich, dass Rudi mir geschrieben hatte und was ich da las, zog mir kurzzeitig den Boden unter den Füßen weg (ich zitiere):
"Hey Tinderbel, Danke schön für diesen Abend und deinem Lachen / gesang in der Nacht. Ich möchte ehrlich sein, ich hatte gerade irgendwie ein doofes Gefühl bei dir zu sein. ich weiß nicht warum, aber denke es kam wegen der Nacht und dass ich mir immer denke, ich muss mich ja um die Person kümmern... naja what ever..... ich würde es schöner finden wenn wir uns lieber alleine das nächste mal treffen. Ich hoffe du bist mir nicht allzu sauer und kannst dies akzeptieren. Hab einen entspannten Samstag noch."
Bamm. In your face. Was war denn jetzt passiert? Ich war doch die Coole? Die, um die man sich nicht kümmern musste? Was zum Henker hatte ich denn falsch gemacht?
Ich fühlte mich wieder wie in der 7. Klasse, als Melanie jeden zu ihrer Englandaustauschparty eingeladen hatte, außer mich und ich mich vor meiner Austauschschülerin wahnsinnig schämte, dass wir nicht hingehen konnten.
Irgendwie war das Ganze sogar noch schlimmer. Ich war gerade ausgeladen worden. Und da ich ja in den wenigsten Fällen akzeptiere, dass andere Leute manchmal einfach total blöde sind, suchte ich den Grund dafür bei mir und in meinem Verhalten. Leider fand ich nichts.
Zu Sicherheit probierte ich einigermaßen cool zu bleiben und gab zwar an, dass mich schon sehr interessieren würde, was er im Bezug auf die Nacht genau meinte (auch aufgrund meiner deutlichen Erinnerungslücke), versichtere ihm aber, dass ich bei seiner Entscheidung total mitgehen konnte und ich ja - glücklicherweise - meine Sachen schon mit nach Hause genommen hatte.
Dann fiel mir meine blöde Plastikschüssel ein. Es konnte ja wohl nicht wahr sein, dass die da jetzt noch stand! Das war meine einzige Plastiksalatschüssel und ich konnte es unmöglich mit meinem Gewissen vereinbaren, noch eine weitere zu kaufen, da ich Plastik inzwischen natürlich tunlichst vermeide (Umwelt und so). Jetzt hatte ich extra einen Salat für diesen augenscheinlich völlig egoistischen Idioten gemacht und wofür? Nicht nur, dass ich mich fühlte wie in der 7. Klasse, was meinen nie ausgeklungenen Brast auf Melanie wieder aufleben ließ, ich hatte auch keine Plastiksalatschüssel mehr. Verdammte Axt.
Ich verteufelte Tinder und alle Männer, hatte einen wahnsinnig depressiven Abend und hoffte darauf, Rudi würde irgendetwas zu mir sagen, dass diese nagenden Fragen in mir zum Schweigen bringen würde. Tat er aber nicht. war ja auch ein egoistischer Idiot.
Als ich am nächsten Abend nochmal passiv aggressiv schrieb, dass meien Salatschüssel noch bei ihm stand, bekam ich eine Antwort. Rudi schob alles auf eine (Zitat!) "Überfunktion seines Hormon Haushalts" (hatte der Mann eigentlich noch nie von zusammengesetzten Hauptwörtern gehört?). Er bot an mir die Schüssel noch am selben Tag vorbeizubringen.
Ich erteilte ihm großzügig die Absolution und schob alles auf mich, a la "ich habe es eifach zu persönlich genommen - so bin ich.". Die Salatschüssel könne er mir aber gern bringen.
Zu spät, ich hatte seine Nachricht erst nach einer halben Sunde gesehen und beantwortet, wodurch er dann schon an meinem Wohnort vorbeigebrettert war. Aber Dienstag: Dienstag wäre er wieder in der Nähe und würde sie bringen. Sußer.
Dienstag kam. Dienstag ging. kein Wort von Rudi. Ich schrieb nicht mehr, war ja mehr als deutlich, dass der mal wieder abgetaucht war.
Zwei Wochen vergingen. Ich fragte nochmal nach der Schüssel. Keine Antwort.
Einen Monat später schrieb ich nochmal: "Ich möchte einfach nur meine Schüssel wieder. Dieses Drama ist mir zu doof."
Und zack! da kam eine Antwort.
"Welches Drama?"
Dein Ernst? Ich warte seit anderthalb Monaten (!!) auf eine Antwort bzw. auf eine Plastikschüssel. Was geht denn bitteschön ab?
"Na das Drama, dass du mir schon einen Monat nicht antwortest auf eine sehr einfache Frage."
Er bot an, mir die Schüssel am kommenden Freitag zu bringen.
Freitag kam. Rudi kam nicht.
Irgendwann schickte ich ihm noch eine Sprachnachricht, in der ich - mit dem nötigen Abstand - erklärte, wie absurd ich es fand, was passiert war und dass mich sein Verhalten sehr verletzt hatte. Er reagierte diesmal ausführlich: Er habe wohl eine Art Panikattacke gehabt, entschuldigte sich "vom tiefsten Herzen". Er gab zu, dass er verplant sei und ich merkte wie beim Lesen langsam Erleichterung in mir aufkam.
Ich hatte nun selbst die Absolution, nach der ich verlangt hatte. Ich hatte nichts falsch gemacht.
Puh.
Die Plastiksalatschüssel war vergessen. Irgendwie hatte ich trotz der Entschuldigung keine große Lust mehr, Rudi zu sehen, geschweige denn ihm meine Adresse zu geben. Ich hatte es abgeschlossen - auch wenn mir die Schüssel fehlt.
Als Rudi mir vor einigen Tagen mitten in der Nacht erzählte, dass er durch meinen ersten Eintrag wieder zurück an den Picknickabend gedachte habe und ihm dabei ganz warm geworden war (ich parafrasiere an dieser Stelle mal), merkte ich eine Woge von Entnervtheit in mir. Das Letzte was ich im Bezug auf Rudi noch hatte, waren "warme Gedanken". Nein, der Zug war abgefahren. Und ich fand es dreist, mir solche nächtlichen Avancen zu machen, nachdem er sich mir gegenüber doch sehr respektlos verhalten hatte.
Ja, er war verkopft und verwirrt und hatte manchmal zu viel zu tun mit sich selbst, um auf die Gefühle anderer Rücksicht zu nehmen. Das hatte er selbst zugeben. Aber irgendwo war auch mal Schluss. Dieses kapitel wollte ich gerne schließen, was mich dazu bewog den zweiten Teil zu schreiben.
Adieu Rudi. Alles Gute wünsche ich dir - und meiner Plastiksalatschüssel.
Die geht auch deutlich weniger schnell kaputt, als mein Herz.
Gut. Dann kann es jetzt ja weitergehen.
Das Picknick lag hinter uns. Es waren inzwischen ein paar Wochen vergangen, Rudi und ich schrieben eher ungregelmäßig miteinander, als ich plötzlich eine Einladung auf Facebook von ihm erhielt. Ein 30. Geburtstag im Festivalstil: 3 Tage, 2 Nächte mit Zelten und Lagerfeuer - das klang ja irgendwie ziemlich gut. Mir war natürlich klar, dass ich dort niemanden kennen würde und fragte mich noch, ob Rudi mich aus purer Höflichkeit eingeladen hatte, doch im Einladungstext hieß es: "Egal wie lange wir uns kennen, jeder von euch hatte einen besonderen Einfluss auf mich und ich möchte gern mit euch gemeinsam feiern." (oder so ähnlich)
Das enstprach ganz genau meinem Stil. Ich neige auch dazu, jeden Hinz und Kunz einladen zu wollen, der mich mal irgendwann 2 Minuten inspiriert hat und so beschloss ich, der Einladung zu folgen. Es sollte noch einige Wochen dauern bis zu Feier und ich versuchte hier und da, den Kontakt wieder etwas zu beleben. Rudi war mit seinem Kopf aber überall und nirgends, und da ich kein tieferes Liebesinteresse an ihm hatte, ließ ich die Zeit einfach verstreichen - allerdings nicht ohne nochmal zu fragen, ob ich nach wie vor Willkommen sei auf seiner Feier.
Das war ich, ganz bestimmt sogar, versicherte er. Und so machte ich am besagten Wochenende noch fix einen leckeren Nudelsalat und transportierte ihn in meiner einzigen Plastikschüssel zum Ort des Geschehens: Dem weitläufigen Garten seiner Eltern, in der Nähe von Soest. Heimspiel quasi, denn in nur 20 Minuten war ich da und ich war dann auch glatt eine der ersten Gäste.
Ich hatte mein Zelt, Decken und meine Gitarre eingepackt und parkte meinen kleinen roten Flitzer vor einem wunderschönen paradiesisch grünen Hof. Begrüßt wurde ich von Maria, der jüngeren Schwester von Rudi, die mich ganz höfdlich siezte und mir zeigte, wo der Rest sich aufhielt.
Ich war wahnsinnig beeindruckt von dem Bild was sich mir bot: Ein altes Steinhaus mit riesigem Garten inklusive Obstbaumwiese, Trampolin, Bankschaukel und Pferdekoppel. Ein Partyzelt stand bereits und davor stand wiederum Rudi, der noch eifrig damit beschäftigt war, unzufrieden über die Aufstellung der Sitzmöbel in selbigem zu sein. Er begrüßte mich herzlich, aber deutlich gestresst. So fühlte ich mich zwar ein klein wenig wie bestellt und nicht abgeholt, aber ich hatte bereits entschieden, dass ich als Alleingänger auf diesem Geburtstag sehr assertiv sein musste. Als Gastgeber muss man sich ja bekanntlich um alle kümmern und hat keine Zeit für Kinderbetreuung. Ich nahm es deshalb auch nicht schwer, sondern stellte meinen Nudelsalat ab. Kurz hatte ich zuvor noch Panik bekommen. Der Nudelsalat war mit Würstchen bestückt und ich erinnerte mich partout nicht mehr, ob Rudi nun Vegetarier war, oder nicht. Hatte in der Einladung nicht etwas gestanden von veganen Häppchen? Oh jeminee... Flashback zum Veganistendate...
Doch meine Sorge stellte sich als völlig unbegründet heraus: Im Gegenteil, die Gäste waren sogar froh, dass im Salat Fleisch drin war. Ich bin ja absolut kein Vega-Gegner, aber... Ach Mist. Wer Sätze so anfängt, ist eigentlich imemr genau das, was er gerade ausgeschlossen hat. Das Ruder krieg ich jetzt nicht mehr herumgerissen... Egal.
Der Salat kam gut an bei den ersten Gästen und ich war vor allem zufrieden, dass alle so nett waren. Über 50% der Partygäste waren eine große Freundesgruppe, in der jeder jeden kannte. Die sahen wahnsinnig hip aus und ich fühlte mich mal wieder wie das hässliche Entlein zwischen lauter Schwänen. Da es zudem schwierig ist, bei einer geschlossenen Gruppe dazwischen zu kommen, hängte ich mich erstmal an die Cousine von Rudi und ihren Mann. Die frotzelten zwar die gesamte Zeit gegeneinander und man fragte sich zeitweise, wie sie überhaupt zueinander gefunden hatte, aber sie waren nett. Beide.
Dann geschah das, was der Albtraum jeder Tinderbekanntschaft ist: Ich wurde gefragt, woher ich denn den Rudi überhaupt kenne.
Klar. Hier hätte ich vorher drüber nachdenken sollen. Vielleicht wäre es auch gar nicht dumm gewesen, mich mit Rudi abzusprechen, aber der Zug war abgefahren. Blieb nur eins: Gnadenlose Ehrlichkeit.
"Ähm jaaa...", druckste ich herum, "um ehrlich zu sein kennen wir uns über Tinder... und das hier ist auch erstunser zweites Treffen." Das Ding ist: Mir persönlich ist das ja gar nicht so unglaublich peinlich, aber man weiß ja nicht, wie das der andere sieht. Ich hatte immerhin auch mal ein Date, wo mir der Datingpartner vorher eine 7-minütige Sprachnachricht geschickt hat um mir zu erklären, warum ich auf gar keinen Fall (!!!) sagen darf, dass wir uns von Tinder kennen.
Die Cousine und ihr Mann fanden es jedenfalls lustig und spannend. Ich ergriff die nächste Gelegenheit, Rudi zu fragen, ob ich mir etwas anderes ausdenken müsse, aber er verneinte lachend. Ihm war das genauso schnuppe wie mir. Top!
Im Laufe des Abends rutschte ich dann doch in die Münsteraner Freundesgruppe und ich war ziemlich begeistert, wie toll diese Menschen waren. Die waren so toll, dass ich am liebsten direkt Teil von ihnen geworden wäre. Tief in mir drin wusste ich aber auch, dass die Basis zwischen Rudi und mr für eine tiefe Freundschaft nicht reichte. Irgendwie war dieser Mann mir einen Ticken zu schräg; zu verkopft; zu verwirrt. Diese Einschätzung sollte sich am nächsten Tag dann auch bewahrheiten...
Der Abend verlief feuchtfröhlich. Um 0:00 Uhr sangen wir ein Lied für Rudi und er freute sich sichtlich. Es wurde gelacht, gesungen, geschrieben und Stockbrot am Lagerfeuer gemacht. Abgesehen von mir hatte sich nur ein weiteres Pärchen entschieden, über Nacht zu bleiben. Die hatten sich aber im Voraus bereits das Gästezimmer im Haus gesichert. Rudi und ich waren die letzten, die im Partyzelt übrig blieben. Er sagte mir, wie cool er es findet, dass ich mich so gut integriert hatte und er sich nicht um mich kümmern musste. Das fand ich auch sehr cool von mir und ich freute mich. Wir knutschten noch ein wenig und an mehr kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Ich weiß aber noch, dass ich irgendwann in mein Zelt stapfte, das einsam und allein in dem riesigen Garten stand. Tolle Zeltparty.
Warum Rudi mich nicht mit ins Haus gefragt hatte und in sein Zimmer war mir schleierhaft, ka mir aber sehr gut aus. Ich wollte nämlich nur noch eins: Schlafen.
Das gelang mir sogar einigermaßen, trotz Kälte.
Am nächsten Morgen war ich recht früh wach, versuchte mich notdürftig im Zelt aufzufrischen, bevor ich auf die Suche nach dem Rest von Schützenfest gehen wollte. War aber gar nicht nötig, denn auf einmal hörte ich Schritte im Gras und Rudi's Stimme, die mir einen Guten Morgen wünschte und verkündete, es gäbe gleich Frühstück im Haus.
Am Frühstückstisch angekommen, begrüßten mich Rudi's Eltern, seine Schwester und das andere Pärchen. Durch diese Konstellation und die Fragen, die von Rudi's Eltern an mich gestellt wurden, bekam ich das leichte Gefühl eines "ersten Kennenlernens" mit den Eltern meines Gebliebten. Rudi war aber nicht mein Geliebter und so war ich entspannt und amüsiert, während mir die Anspannung von Rudi jedoch nicht entging. War ihm das so unangenehm? Oder war es nur der Kater vom Alkohol und lustigen Zigaretten des Vorabends?
Rudi plante den weiteren Tag, denn abends sollte die zweite Party steigen. Die Münsteraner wollten teilweise wiederkommen und andere Freunde hatten sich ebenfalls angekündigt. Ich war müde, aber durchaus motiviert. Rudi wollte seinen Pärchenfreunden gerne das Naturgebiet zeigen und fragte mich, ob ich mitkommen würde. "Klar gerne!", sagte ich. Was sollte ich denn auch sonst in der Zwischenzeit tun?
An seiner Reaktion meinte ich eine leichte Enttäuschung zu spüren. Hä? Wollte er gar nicht, dass ich mitkomme? War ich jetzt dieser Gast, der zu lange blieb? Aber er hatte mich doch eingeladen?
Ach ja, vielleicht war es ja wiederum nur der Kater und steckte ich mitten in der Überinterpretation - wie so oft. Wir stiefelten also zu viert los. Ich gebe zu, die Stimmung war irgendwie leicht angespannt und ich fühlte mich ein wenig wie das 5. Rad am Wagen. Ich war aber fest entschlossen, mir das nicht anmerken zu lassen und mich einfach zu entspannen. Meine Stimmung war leicht niedergeschlagen - nur warum konnte ich nicht richtig greifen. Unterwegs trafen wir noch eine radelnde Frauengruppe, denen ich fröhlich entgegenschmetterte, dass der Rudi Geburtstag hatte. Sie stimmten enthusiastisch ein Lied an und Rudi ließ sich feiern: "Guck mal!", dachte ich zu mir selbst, "Da hast du doch schön dazu beigetragen, dass der Geburtstag noch extra besonders ist.", und freute mich.
Zurück am Haus entschied Rudi, dass er sich ein wenig hinlegen würde. Das Pärchen wollte duschen und ich druckste ein wenig herum, dass ich mich auch nochmal hinlegen würde oder so...
Im Kopf hatte ich bereits entschieden, dass ich mein Zelt packen würde, um erstmal einen Abstecher nach Hause zu machen. Abends würde ich dann wiederkommen und entweder nichts trinken und fahren, oder aber im Auto schlafen. Ich fand mich wahsinnig cool und unkompliziert, nur traute ich mich nicht so ganz, Rudi von meinem Plan zu erzählen. Irgendwie habe ich es dann aber geschafft, ihm noch fix zu sagen, was ich mache. Rudi reagierte wahnsinnig lässig und entspannt, wie immer und machte sich auf ins sein Bett.
An dieser Stelle sollte ich kurz erwähnen, dass es an diesem Tag keinen Kuss oder sontigen romantischen Moment zwischen mir und Rudi gab. Dennoch schien von dem Pärchen und auch von seinen Eltern ein Vibe auszugehen, den Menschen immer nur frisch Verliebten gegenüber haben, wenn sie denken, dass man die Verliebtheit noch nicht ansprechen darf, weil sie viiiiieeeel zu frisch ist. Wir waren aber nicht verliebt. Ich jedenfalls nicht, und ich müsste mich doch sehr wundern, wenn Rudi sich schon in mich verliebt hätte. Ich spürte da nämlich ein gar nichts aus seiner Richtung. War aber auch schnuppe, wir verstanden uns halt einfach gut und knutschten beide gerne. Nicht mehr und nicht weniger.
Ich packte meinen Kram, abgesehen von meiner Plastiksalatschüssel, die noch nicht leer war und fuhr nach Hause. Dort angekommen, sah ich, dass Rudi mir geschrieben hatte und was ich da las, zog mir kurzzeitig den Boden unter den Füßen weg (ich zitiere):
"Hey Tinderbel, Danke schön für diesen Abend und deinem Lachen / gesang in der Nacht. Ich möchte ehrlich sein, ich hatte gerade irgendwie ein doofes Gefühl bei dir zu sein. ich weiß nicht warum, aber denke es kam wegen der Nacht und dass ich mir immer denke, ich muss mich ja um die Person kümmern... naja what ever..... ich würde es schöner finden wenn wir uns lieber alleine das nächste mal treffen. Ich hoffe du bist mir nicht allzu sauer und kannst dies akzeptieren. Hab einen entspannten Samstag noch."
Bamm. In your face. Was war denn jetzt passiert? Ich war doch die Coole? Die, um die man sich nicht kümmern musste? Was zum Henker hatte ich denn falsch gemacht?
Ich fühlte mich wieder wie in der 7. Klasse, als Melanie jeden zu ihrer Englandaustauschparty eingeladen hatte, außer mich und ich mich vor meiner Austauschschülerin wahnsinnig schämte, dass wir nicht hingehen konnten.
Irgendwie war das Ganze sogar noch schlimmer. Ich war gerade ausgeladen worden. Und da ich ja in den wenigsten Fällen akzeptiere, dass andere Leute manchmal einfach total blöde sind, suchte ich den Grund dafür bei mir und in meinem Verhalten. Leider fand ich nichts.
Zu Sicherheit probierte ich einigermaßen cool zu bleiben und gab zwar an, dass mich schon sehr interessieren würde, was er im Bezug auf die Nacht genau meinte (auch aufgrund meiner deutlichen Erinnerungslücke), versichtere ihm aber, dass ich bei seiner Entscheidung total mitgehen konnte und ich ja - glücklicherweise - meine Sachen schon mit nach Hause genommen hatte.
Dann fiel mir meine blöde Plastikschüssel ein. Es konnte ja wohl nicht wahr sein, dass die da jetzt noch stand! Das war meine einzige Plastiksalatschüssel und ich konnte es unmöglich mit meinem Gewissen vereinbaren, noch eine weitere zu kaufen, da ich Plastik inzwischen natürlich tunlichst vermeide (Umwelt und so). Jetzt hatte ich extra einen Salat für diesen augenscheinlich völlig egoistischen Idioten gemacht und wofür? Nicht nur, dass ich mich fühlte wie in der 7. Klasse, was meinen nie ausgeklungenen Brast auf Melanie wieder aufleben ließ, ich hatte auch keine Plastiksalatschüssel mehr. Verdammte Axt.
Ich verteufelte Tinder und alle Männer, hatte einen wahnsinnig depressiven Abend und hoffte darauf, Rudi würde irgendetwas zu mir sagen, dass diese nagenden Fragen in mir zum Schweigen bringen würde. Tat er aber nicht. war ja auch ein egoistischer Idiot.
Als ich am nächsten Abend nochmal passiv aggressiv schrieb, dass meien Salatschüssel noch bei ihm stand, bekam ich eine Antwort. Rudi schob alles auf eine (Zitat!) "Überfunktion seines Hormon Haushalts" (hatte der Mann eigentlich noch nie von zusammengesetzten Hauptwörtern gehört?). Er bot an mir die Schüssel noch am selben Tag vorbeizubringen.
Ich erteilte ihm großzügig die Absolution und schob alles auf mich, a la "ich habe es eifach zu persönlich genommen - so bin ich.". Die Salatschüssel könne er mir aber gern bringen.
Zu spät, ich hatte seine Nachricht erst nach einer halben Sunde gesehen und beantwortet, wodurch er dann schon an meinem Wohnort vorbeigebrettert war. Aber Dienstag: Dienstag wäre er wieder in der Nähe und würde sie bringen. Sußer.
Dienstag kam. Dienstag ging. kein Wort von Rudi. Ich schrieb nicht mehr, war ja mehr als deutlich, dass der mal wieder abgetaucht war.
Zwei Wochen vergingen. Ich fragte nochmal nach der Schüssel. Keine Antwort.
Einen Monat später schrieb ich nochmal: "Ich möchte einfach nur meine Schüssel wieder. Dieses Drama ist mir zu doof."
Und zack! da kam eine Antwort.
"Welches Drama?"
Dein Ernst? Ich warte seit anderthalb Monaten (!!) auf eine Antwort bzw. auf eine Plastikschüssel. Was geht denn bitteschön ab?
"Na das Drama, dass du mir schon einen Monat nicht antwortest auf eine sehr einfache Frage."
Er bot an, mir die Schüssel am kommenden Freitag zu bringen.
Freitag kam. Rudi kam nicht.
Irgendwann schickte ich ihm noch eine Sprachnachricht, in der ich - mit dem nötigen Abstand - erklärte, wie absurd ich es fand, was passiert war und dass mich sein Verhalten sehr verletzt hatte. Er reagierte diesmal ausführlich: Er habe wohl eine Art Panikattacke gehabt, entschuldigte sich "vom tiefsten Herzen". Er gab zu, dass er verplant sei und ich merkte wie beim Lesen langsam Erleichterung in mir aufkam.
Ich hatte nun selbst die Absolution, nach der ich verlangt hatte. Ich hatte nichts falsch gemacht.
Puh.
Die Plastiksalatschüssel war vergessen. Irgendwie hatte ich trotz der Entschuldigung keine große Lust mehr, Rudi zu sehen, geschweige denn ihm meine Adresse zu geben. Ich hatte es abgeschlossen - auch wenn mir die Schüssel fehlt.
Als Rudi mir vor einigen Tagen mitten in der Nacht erzählte, dass er durch meinen ersten Eintrag wieder zurück an den Picknickabend gedachte habe und ihm dabei ganz warm geworden war (ich parafrasiere an dieser Stelle mal), merkte ich eine Woge von Entnervtheit in mir. Das Letzte was ich im Bezug auf Rudi noch hatte, waren "warme Gedanken". Nein, der Zug war abgefahren. Und ich fand es dreist, mir solche nächtlichen Avancen zu machen, nachdem er sich mir gegenüber doch sehr respektlos verhalten hatte.
Ja, er war verkopft und verwirrt und hatte manchmal zu viel zu tun mit sich selbst, um auf die Gefühle anderer Rücksicht zu nehmen. Das hatte er selbst zugeben. Aber irgendwo war auch mal Schluss. Dieses kapitel wollte ich gerne schließen, was mich dazu bewog den zweiten Teil zu schreiben.
Adieu Rudi. Alles Gute wünsche ich dir - und meiner Plastiksalatschüssel.
Die geht auch deutlich weniger schnell kaputt, als mein Herz.
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