Es war schon spät, als ich sein Profil sah. Ramon. Mittelbraunes, halblanges Haar, leicht gewellt. Brille - aber keine coole Hipsterbrille, sondern eher ein Modell, dass entfernt an Harry Potter erinnerte, mit lieben, kleinen, braunen Knopfaugen dahinter. Dazu ein zu großer, brauner Strickpullover. Hmmm. Ich habe eine Schwäche für Männer in zu großen Strickpullovern.
Seine Erscheinung ließ ihn mich direkt in eine Schublade einsortieren:
Typ: zerstreuter Professor... Oder Schriftsteller.
Letzteres gab er dann auch an zu sein. Seinen Debutroman "Brokkoli aus Singapur" war gerade erschienen (Naja... den Titel hab ich seiner Anonymität wegen mal ein wenig abgeändert).
Mir gefiel der Titel jedenfalls, doch ich war skeptisch, hatte ich doch bereits gelernt, dass nicht jeder Tinderianer immer die Wahrheit spricht. Also googelte ich das Ganze mal fix. Herrlich, dieses Zeitalter des Stalkertums! Und siehe da! Er hatte nicht gelogen. Das Buch gab es und er war tatsächlich der Autor.
MATCH!
Und schon waren wir miteinander verbunden. Wir kamen ins Gespräch. Er war nett und sagte schlaue Dinge. Er drückte sich gut aus. Gut genug, um mich neugierig zu machen auf dieses Gemüsebuch. Zum Glück gab es eine Leseprobe im Netz. Die ersten Seiten verschlang ich schon während wir noch miteinander schrieben. Ich las über einen wunderlichen Sohn und seinen noch viel wunderlicheren Vater. Ein Einblick in eine Welt, die mich aufsog.
Als die Leseprobe vorbei war, war ich traurig: Ich wollte weiterlesen.
Ich erzählte ihm davon und er machte einen Vorschlag, der zu einem meiner schönsten Tindermomente in über 5 Jahren führte. Er fragte:
"Soll ich dir vorlesen?"
Kurz kam Panik in mir auf. Wie? Vorlesen? Jetzt? Mitten in der Nacht? Wo denn? Ich bin im Schlafi!
Doch das legte sich, der Technik sei Dank: Skype. Er meinte vorlesen via Skype.
- An dieser Stelle sei kurz erwähnt, dass ich der größte Telefonierschisser der Welt bin. Ich nehme nie ab, wenn ich die Nummer nicht kenne. Ich telefoniere nur, wenn es wirklich nötig ist. Oder, wenn meine beste Freundin anruft, die eine starke Amnesie hat, wenn es um meine Telefonierangst geht. -
Aber mit Ramon konnte ich mir das vorstellen. Ich ließ noch kurz ein paar typische Ausreden vom Stapel, die Frauen nur benutzen um ihre Unsicherheit zu bezwingen, wie: "Oh nein, ich bin doch schon abgeschminkt und hab meinen Pyjama an, meinst du wirklich?"
Er tat, was ein Mann in einem solchen Moment tun muss und sagte: "Das ist mir egal."
Damit war das geregelt und wir konnten die Vorlese-Session starten. Ich lag in meinem Hochbett (ja, ich hatte mit 25 ein Hochbett - mein Studentenzimmer war einfach sehr klein...) auf dem Bauch. Vor mir lag mein Laptop und auf dem Bildschirm war Ramon. Der Vorleser.
Er schwafelte nicht viel drum herum, räusperte sich, fragte ernst ob ich bereit bin und auf mein Ja begann er mit vorlesen. Es. War. Magisch.
Die Zeit blieb ein klein wenig stehen, in diesem vollgestopften kleinen Studentenzimmer in Utrecht. Ich lauschte seiner Stimme und der absolut fantastischen Geschichte, die er erzählte. Wir verschwanden gemeinsam in seiner Welt. Bis er fand, dass es genug gewesen wäre für diese Nacht. Ich widersprach ihm nicht. Seine leicht neurotische Autorität zog mich in ihren Bann.
Wir beendeten das Gespräch. Ich kicherte ein wenig vor mich hin. War das gerade wirklich passiert? Hatte ein völlig Fremder mir mitten in der Nacht aus seinem eigenen Buch vorgelesen?
Ganz schön schön irgendwie.
Es blieb nicht bei dem einen Mal. Ramon las mir noch einige Male vor. Irgendwann dazwischen oder danach trafen wir uns auch mal auf einen Kaffee. Wann spielt eigentlich kaum eine Rolle. Die Magie des Vorlesens in der Nacht kam bei unserem Treffen nicht auf. Wir verstanden uns gut, aber da war kein Funke. Ich war ihm vielleicht zu laut, zu wild, zu ungestüm. Oder einfach zu groß. Er war mir vielleicht etwas zu ernst. Ich glaube mein Wesen verjagte seine leisen, nuancierten Töne. Aber auch das war egal. Die Magie des Vorlesens trage ich für immer mit mir.
Ich weiß noch: In einer dieser Nächte streifte ich gedankenlos über die Haut unter meinem Hals und er räusperte sich. Seine Stimme brach ab und er machte eine Pause: "Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn du das machst.", sagte er, mehr ernst als schelmisch. Ich verstand zuerst nicht, was er meinte. Dann musste ich unwillkürlich schmunzeln. Hatte ich den intellektuellen Schriftsteller jetzt aus dem Konzept gebracht? Ich hörte auf. Für den Moment; muss aber gestehen, dass ich mir nach diesem Augenblick noch 100 mal über dieselbe Stelle gestrichen habe, wenn er mir vorlas. In der Hoffnung, diesen wundersamen Schreiberling zumindest ab und zu nochmal aus dem Konzept gebracht zu sehen...
PS: Und wenn ich dir sage, dass wir bis heute sporadisch Kontakt haben, würdest du es dann glauben?
Seine Erscheinung ließ ihn mich direkt in eine Schublade einsortieren:
Typ: zerstreuter Professor... Oder Schriftsteller.
Letzteres gab er dann auch an zu sein. Seinen Debutroman "Brokkoli aus Singapur" war gerade erschienen (Naja... den Titel hab ich seiner Anonymität wegen mal ein wenig abgeändert).
Mir gefiel der Titel jedenfalls, doch ich war skeptisch, hatte ich doch bereits gelernt, dass nicht jeder Tinderianer immer die Wahrheit spricht. Also googelte ich das Ganze mal fix. Herrlich, dieses Zeitalter des Stalkertums! Und siehe da! Er hatte nicht gelogen. Das Buch gab es und er war tatsächlich der Autor.
MATCH!
Und schon waren wir miteinander verbunden. Wir kamen ins Gespräch. Er war nett und sagte schlaue Dinge. Er drückte sich gut aus. Gut genug, um mich neugierig zu machen auf dieses Gemüsebuch. Zum Glück gab es eine Leseprobe im Netz. Die ersten Seiten verschlang ich schon während wir noch miteinander schrieben. Ich las über einen wunderlichen Sohn und seinen noch viel wunderlicheren Vater. Ein Einblick in eine Welt, die mich aufsog.
Als die Leseprobe vorbei war, war ich traurig: Ich wollte weiterlesen.
Ich erzählte ihm davon und er machte einen Vorschlag, der zu einem meiner schönsten Tindermomente in über 5 Jahren führte. Er fragte:
"Soll ich dir vorlesen?"
Kurz kam Panik in mir auf. Wie? Vorlesen? Jetzt? Mitten in der Nacht? Wo denn? Ich bin im Schlafi!
Doch das legte sich, der Technik sei Dank: Skype. Er meinte vorlesen via Skype.
- An dieser Stelle sei kurz erwähnt, dass ich der größte Telefonierschisser der Welt bin. Ich nehme nie ab, wenn ich die Nummer nicht kenne. Ich telefoniere nur, wenn es wirklich nötig ist. Oder, wenn meine beste Freundin anruft, die eine starke Amnesie hat, wenn es um meine Telefonierangst geht. -
Aber mit Ramon konnte ich mir das vorstellen. Ich ließ noch kurz ein paar typische Ausreden vom Stapel, die Frauen nur benutzen um ihre Unsicherheit zu bezwingen, wie: "Oh nein, ich bin doch schon abgeschminkt und hab meinen Pyjama an, meinst du wirklich?"
Er tat, was ein Mann in einem solchen Moment tun muss und sagte: "Das ist mir egal."
Damit war das geregelt und wir konnten die Vorlese-Session starten. Ich lag in meinem Hochbett (ja, ich hatte mit 25 ein Hochbett - mein Studentenzimmer war einfach sehr klein...) auf dem Bauch. Vor mir lag mein Laptop und auf dem Bildschirm war Ramon. Der Vorleser.
Er schwafelte nicht viel drum herum, räusperte sich, fragte ernst ob ich bereit bin und auf mein Ja begann er mit vorlesen. Es. War. Magisch.
Die Zeit blieb ein klein wenig stehen, in diesem vollgestopften kleinen Studentenzimmer in Utrecht. Ich lauschte seiner Stimme und der absolut fantastischen Geschichte, die er erzählte. Wir verschwanden gemeinsam in seiner Welt. Bis er fand, dass es genug gewesen wäre für diese Nacht. Ich widersprach ihm nicht. Seine leicht neurotische Autorität zog mich in ihren Bann.
Wir beendeten das Gespräch. Ich kicherte ein wenig vor mich hin. War das gerade wirklich passiert? Hatte ein völlig Fremder mir mitten in der Nacht aus seinem eigenen Buch vorgelesen?
Ganz schön schön irgendwie.
Es blieb nicht bei dem einen Mal. Ramon las mir noch einige Male vor. Irgendwann dazwischen oder danach trafen wir uns auch mal auf einen Kaffee. Wann spielt eigentlich kaum eine Rolle. Die Magie des Vorlesens in der Nacht kam bei unserem Treffen nicht auf. Wir verstanden uns gut, aber da war kein Funke. Ich war ihm vielleicht zu laut, zu wild, zu ungestüm. Oder einfach zu groß. Er war mir vielleicht etwas zu ernst. Ich glaube mein Wesen verjagte seine leisen, nuancierten Töne. Aber auch das war egal. Die Magie des Vorlesens trage ich für immer mit mir.
Ich weiß noch: In einer dieser Nächte streifte ich gedankenlos über die Haut unter meinem Hals und er räusperte sich. Seine Stimme brach ab und er machte eine Pause: "Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn du das machst.", sagte er, mehr ernst als schelmisch. Ich verstand zuerst nicht, was er meinte. Dann musste ich unwillkürlich schmunzeln. Hatte ich den intellektuellen Schriftsteller jetzt aus dem Konzept gebracht? Ich hörte auf. Für den Moment; muss aber gestehen, dass ich mir nach diesem Augenblick noch 100 mal über dieselbe Stelle gestrichen habe, wenn er mir vorlas. In der Hoffnung, diesen wundersamen Schreiberling zumindest ab und zu nochmal aus dem Konzept gebracht zu sehen...
PS: Und wenn ich dir sage, dass wir bis heute sporadisch Kontakt haben, würdest du es dann glauben?
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