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Der Hippie, das Picknick und Füße...

Der Kontakt mit Rudi aus Münster war so wahnsinnig unkompliziert und dennoch irgendwie seltsam. Er hatte eine eigenartige Art zu schreiben. Statt "das" sagte er fortwährend "dies", was einem das Gefühl gab, sich im 18. Jahrhundert zu befinden.

"Dies ist eine gute Idee.", schrieb er, als ich vorschlug, gemeinsam zu Picknicken. Wir waren noch nicht ganz schlüssig, über den Ort: Vielleicht an einem See in der Nähe?

Ich weiß nicht mehr genau, warum wir "dies" verwarfen, aber wir entschieden uns letztendlich für ein Treffen in Stromberg, oben, an der Burg. Wir Stromberger sagen ja gerne, dass wir uns "oben an der Burg" treffen. Die Wahrheit ist, dass die Burg schon seit 1780 nicht mehr existiert. Damals befahl Bischof Maximilian Franz sie abzureißen. Warum auch immer. Faktisch steht heute nur noch ein Teil der Mauer und der ehemalige Bergfried: Der Paulusturm.

Ich wohnte zu diesem Zeitpunkt noch übergangsweise bei meinen Eltern und fühlte eine gewisse Befangenheit (obwohl meine Eltern shcon die Coolsten auf der Welt sind) mich zu Hause abholen zu lassen. Ich schlug also vor, an der Tanke auf ihn zu warten. Hat ja auch was, eingesammelt werden von einem Fremden und dann auch noch ganz frivol an der Tankstelle!
Warum icht nicht einfach selbst mit dem fahrrad gefahren bin und ihn "oben an der Burg" getroffen habe, ist mir schleierhaft. Mein Kopf hat da manchmal seine ganz eigene, unschlagbare Logik.

Ich kaufte noch einen Piccolosekt und eine Schachtel Vogue Menthol, setzte mich auf den warmen Bordstein vor der Tanke und wartete. Vorgefahren kam eine Art Kleinbus, aus dem ein großer Mann mit mittellangen, dunkelblonden Haaren und Bart stieg. Das erste was mir auffiel, war seine Größe. Wie schön! Endlich mal ein Mann, der meine 1,78m gut ergänzte! Das zweite, was mir auffiel, war sein leichter Silberblick, der mich den Rest des Dates verwirren wollte, da ich nie wusste, in welches Auge ich gucken sollte, aber zu feige war, zu fragen.
(Gibt es bei schielenden Menschen überhaupt ein gutes und ein schlechtes Auge? Ich muss das dringend mal recherchieren...)

Wir begrüßten einander mit einer herzlichen Umarmung und ich stieg zu ihm ins Auto. Dabei sah ich, dass er im großen Kofferraum, eine Art Tiny House geschaffen hatte, inklusive Bett und Lichterkette. Kurz schossen Gruselphantasien von Kidnapping durch meinen Kopf, aber Rudi schien mir nicht der Typ für Sturmmasken und Chloroform. Ich wies ihm den Weg "zur Burg" und wir parkten vor der Kirche. Rudi hatte mich im Vorraus leicht nervös gemacht, als er sagte er backe noch etwas für das Picknick. In panik hatte ich also noch einen Dipp mehr oder weniger selbst gemacht (Kräuterbuko mit Quark gemischt und ein paar frischen Basilikumblättche zur Tarnung meiner Kochschmach) und Gemüse geschnibbelt. Das würde eventuell den Anschein erwecken, ich hätte mich genauso ins Zeug gelegt wie er.

Wir breiteten unsere Decken auf der Wiese hinter der Kirche aus, umgeben von den Überresten der Burgmauer und mit Blick aufs ferne Sauerland (zuminest behauptete mein Vater immer, dass man von der Burg aus bis dahin gucken könne). Rudi war sichtlich beindruckt von der Aussicht und packte sein selbstgemachtes Brot aus. Dazu erfuhr ich direkt, wie einfach es anscheinend ist, Brot selbst zu machen und schämte mich etwas weniger für meine Rohkostkolonne.
Das Gespräch lief fließend, wir redetet über Reisen, Beziehungen und Drogen - die typischen Themen fürs erste Date eben. Währenddessen breiteten wir unser üppiges Picknick aus und schnabulierten drauf los. Zu Trinken gab es Rharbarberschorle und den Piccolo. Ich hatte auf weiteren Alkohol verzichtet, da Rudi noch fahren musste. Er machte mir allerdings recht schnell klar, dass ihn so ein bisschen Autofahren nun wirklich nicht vom Trinken abhalten würde, und ich ruhig eine große Flasche hätte kaufen können. So blieb uns nur der Tabak, um unsere Sucht, die innere Leere zu füllen, zu befriedigen. Und eben Gespräche.

"Gib mir mal deinen Fuß.", sagte Rudi plötzlich.

An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass ich der absolute Fußhasser bin. Ich hasse es, Füße zu berühren, ich hasse es, wenn mich Leute mit ihrem Füßen berühren. Ich hasse es, wenn Menschen meine Füße berühren und das Schlimmste ist, wenn jemand mit seinen Füßen, meine Füße berührt. Horror.
Zu allem Überfluss war ich den ganzen Tag barfuß gelaufen und meine Füße waren pechschwarz von unten. Keine Übertreibung.
Da ich jedoch das Gefühl hatte, mein Hass auf Füße wäre nichts fürs erste Date, beschloss ich, mitzumachen. Seine Art zu fragen, hatte zudem etwas beruhigend bestimmtes. Da zeigt sich mal wieder, dass ich doch eigentlich jemanden suche, der sagt, was zu tun ist. Wie unemanzipatorisch. (Ist mir egal, ob das ein Wort ist)

Ich streckte ihm also meinen Fuß entgegen, begleitet von einem nervösen Kichern aus Angst, ich würde ihn treten, sobald er ihn berührte. Kurz dachte ich an Jesus und seine Fußwaschung: Ernierdrigt man sich eigentlich selbst, wenn man jemandem die Füße wäscht? Oder massiert? oder küsst?
Anspannung machte sich breit in dieser für mich ungewohnten Situation. Rudi nahm meinen Fuß wie selbstverständlich in die Hand und begann ihn zu massieren. Seine Berührungen waren fest, aber zärtlich. Seine Bewegungen waren weder zu schnell, noch zu langsam und er übte den exakt richtigen Druck aus.

Ich atmete auf.
Das fühlte sich ziemlich gut an. Sehr gut sogar. Und Rudi schien es ebenfalls zu genießen, denn er machte wohlige Geräusche, während er meine zarte 39 durchknetete. Währenddessen redeten wir weiter. Ich merkte, wie ich mich mehr und mehr entspannte. Ein leiser Wunsch in mir wollte, dass er nie wieder aufhörte. Seine Hände waren warm, der Abend lau und ich lehnte mich hintenrüber, während ein Fuß in seinem Schoß lag. Es war nicht sexuell, und dennoch fühlte ich, dass es in mir ein wenig kribbelte. Nach einer Ewigkeit wechselte er zu meinem anderen Fuß und irgendwann hörte er auf.
Ich trauerte seinen Händen an meinen Füßen beinahe nach und erkannte mich selbst kaum wieder. Rudi sagte: "Komm, wir knutschen."

Das war irgendwie dominant und unbeholfen zugleich und ich beugte mich zu ihm vor, bis sich unsere Lippen trafen. Der Kuss war schön. Fast so schön, wie die Fußmassage. Wir wollten uns festhalten und so landeten wir nebeneinander auf der Picknickdecke.

An dieser Stelle sollte kurz erwähnt werden, dass es langsam begann, dunkel zu werden und wir quasi die einzigen an der Burgmauer waren. Aber eben auch nur quasi.
Um die Ecke hatte sich ein Grüppchen junger Männer, die offensichtlich noch nicht allzu lange in Deutschland waren, um eine Art Gasbrenner versammelt und brutzelte fröhlich vor sich hin. Ich habe diese Männer noch gesehen, als wir anfingen zu knuschen. Als wir aufhörten, waren sie weg. Ich kann nur hoffen, dass wir sie nicht allzu sehr verstört haben, mit dem was folgte.

Wie das so ist, wenn man knutschend in einer lauen Sommernacht auf einer Picknickdecke liegt, wurde unser Knutschen wilder. Ohne hier ins Detail gehen zu wollen, gebe ich zu, dass nicht alles was auf der Decke passierte jugendfrei war. Ich hätte uns einen nett gemeinten SFK 16 gegeben. Keine Nacktheit, das nicht, aber Rudi war im Nachhinein dennoch froh, dass er eine Badehose angezogen hatte. Da dürfen Sie, werter Leser, jetzt selbst ihre Phantasie spielen lassen.

Als es so dunkel war, dass man von der schönen Aussicht nichts mehr sehen konnte, packten wir unsere Siebensachen und liefen zurück zum Auto. Es war Sonntagund am nächsten Tag musste wieder gearbeitet werden. Rudi brachte mich zurück, diesmal direkt nach Hause. Wir gaben uns einen Abschiedkuss, der sich gewaschen hatte und ich schwebte nach drinnen, wo ich natürlich augenblicklich das Grinsen aus meinem Gesicht wischte, und so cool, wie es mir eben gelang, ins Wohnzimmer lief, wo meine Eltern vorm Fernseher saßen.

"Na, wie wars?", fragten sie gespielt unschuldig.

"Mmmjoah, war ganz nett...", grinste ich in mich hinein.


Zugegeben, es hatte nicht wirklich geknistert bei mir. Rudi war ein angenehmer Wegbegleiter, für ein kleines Stück Weg. Ich konnte mir durchaus vorstellen, ihn nochmal irgendwo zu sehne, wo wir nicht eine Gruppe von potenziell frisch angekommen Flüchtlingen verschreckten.
Freundschaft Plus nennt man das. Unplatonisch aber auch ungebunden.

Ob es dazu kam, werdet ihr in der Fortsetzung lesen. Denn Rudi habe ich noch ein weiteres Mal gesehen. VORSICHT, SPOILERALERT: Dabei spielte eine Salatschüssel eine besondere Rolle. Und sollte ich selbige noch einmal zurückbekommen, gibt es vielleicht sogar von einem dritten Treffen zu berichten...



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